Respekt im Netz: Was tun bei digitaler Gewalt?
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- 18. Februar 2022
Dass der Umgangston online oft aggressiver ist als offline, ist kein Geheimnis. Beleidigungen und Drohungen in den sozialen Medien sind an der Tagesordnung. Das Perfide: Große Social-Media-Plattformen schlagen daraus sogar Profit. Was können wir gegen diesen Hass tun?
Die Journalistin und Korrespondentin Nicole Diekmann hat am eigenen Leib erfahren, wie sich ein Shitstorm anfühlt. Im change Interview spricht sie darüber, wie Hass im Netz entsteht – und wie man ihm entgegentreten kann.
Nicole Diekmann …
… ist Autorin des Buchs „Die Shitstorm-Republik“, welches 2021 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Sie arbeitet als Hauptstadtkorrespondentin für das ZDF in Berlin. Außerdem seziert sie alle zwei Wochen in ihrer Kolumne „Digitale Abgründe“ Aufreger und Themen rund um Social Media und Digitalisierung. 2019 wurde sie mit der Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung für herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik geehrt.
Nicole Diekmann auf Twitter
change | Frau Diekmann, schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Vorab: Wie war Ihr Tag auf Twitter bisher?
Nicole Diekmann | Ich glaube, ich habe heute nichts gepostet, was zu großem Ärger führen kann. (lacht) Aber das kann passieren, egal was ich poste. Ich habe das neulich tatsächlich mit dem Bild einer Kindergeburtstagstorte geschafft. Das kommt frei Haus mit ab einer gewissen Follower:innenzahl. Aber heute war es einigermaßen ruhig. Wobei mein Unterbewusstsein mittlerweile einige Filter installiert hat.
Die da wären?
Ich schaue gar nicht mehr so genau auf die Replys. Generell gucke ich weniger auf Twitter seit Anfang des Jahres, ich habe die App vom Handy gelöscht und merke, dass das nicht verkehrt ist. Es hebt die Stimmung, wenn man sich nicht andauernd dieses empörte Gemetzel gibt. Aber mein Tag heute auf Twitter war tatsächlich gut.
In Ihrem Buch „Die Shitstorm-Republik“ rechnen Sie mit den sozialen Netzwerken ab. Die Plattformbetreiber:innen würden sogar Profit aus dem Hass im Netz schlagen. Wie meinen Sie das?
Die Plattformbetreiber:innen verdienen ihr Geld mit zielgerichteter Werbung, also Targeted Advertising. Man konnte noch nie so gezielt Konsument:innen erreichen wie heute, vor allem dank Facebook. So kommt das Geld in die Kasse. Facebook nimmt dabei eine Vorreiter:innenrolle ein. Die Betreiber:innen möchten, dass ich möglichst viel Zeit dort verbringe. Je länger ich das tue, desto besser lernen sie mich kennen und wissen dann: Nicole Diekmann hängt unglaublich viel auf dem Sofa rum und liebt Serien. Wir von Sky launchen jetzt den Nachfolger von „Sex and the City“, also positionieren wir das Probeabo für drei Monate auf ihrer Facebook-Seite.
Das funktioniert auch mit anderen Vorlieben, zum Beispiel der politischen Einstellung.
Genau, die Plattformen können dann ein Profil von mir erstellen und verdienen damit ihr Geld.
„Klar finden wir alle Katzenbabys ganz toll. Aber spannend wird es für uns erst, wenn es richtig zur Sache geht.“
– Nicole Diekmann, Journalistin und Korrespondentin
Was hat das mit Hass im Netz zu tun?
Leute bleiben länger auf Seiten und interagieren stärker mit Inhalten, wenn sie emotionalisiert sind. Das Schlimme ist, dass sie vor allem dann aktiv in den sozialen Netzwerken sind, wenn sie negativ emotionalisiert sind. Klar finden wir alle Katzenbabys ganz toll. Aber spannend wird es für uns erst, wenn es richtig zur Sache geht. Das ist wie bei einer Prügelei oder bei einem Verkehrsunfall. Wir können nicht anders, wir müssen dabeibleiben. Wenn jemand sehr laut oder sehr brutal ist, fasziniert uns das, im Guten wie im Schlechten, so funktionieren unsere Gehirne. Wenn die Person viel Beifall dafür bekommt, fühlen wir uns sogar ermächtigt, mitzuklatschen.
Und das alles in der Anonymität der Masse.
Facebook und Co. wissen das und sorgen mithilfe der geheimen Algorithmen dafür, dass emotionsgeladene, hasserfüllte Kommentare höher gerankt werden. Das ist das aktive Befeuern von Hass im Netz. Es gibt aber auch noch eine passive Seite, im wahrsten Sinne des Wortes. Facebook und andere Plattformen tun immer noch viel zu wenig – verschwindend wenig! – dafür, Leuten, die hinter eventuell oder bewiesenermaßen strafbaren Inhalten stehen, auf die Schliche zu kommen.
Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das so nicht weitergeht. Geklagt hatte die Grünen-Politikerin Renate Künast, die auf Facebook Opfer von Hatespeech wurde.
Dieses Urteil ist ein Meilenstein. Gucken wir mal, was die Politik daraus macht. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss, selbst wenn man eine Person des öffentlichen Lebens ist. Da muss man sich zwar mehr gefallen lassen als andere, aber eben auch nicht alles. Und das Gericht sagt auch: Die Daten der Leute, die Renate Künast teilweise übel beschimpft haben, können rausgegeben werden.
Sie vertreten in Ihrem Buch auch die These, dass Politik und Journalismus dazu beitragen, den Hass im Netz zu befeuern.
Die Politik hat die sozialen Netzwerke nicht rechtzeitig ernst genommen. Es wurden kaum Gesetze erlassen, um die Plattformen zu regulieren. Das Thema wurde einfach verschlafen. Wir sehen das an diesem fast schon rührselig naiven Umgang der Bundesregierung mit Telegram. Google – das ist echt peinlich – Google muss gerade als Mittler zwischen der deutschen Bundesregierung und den Telegram-Verantwortlichen fungieren. In diesem Zusammenhang hätte die Bundesregierung gleich nachfragen sollen, was Google vor allem auf YouTube dagegen tut, wenn Hass verbreitet wird. Denn was da passiert, ist überhaupt nicht lustig.
Und die Rolle der Journalist:innen dabei?
Das ist eine zweigeteilte Geschichte. Zum einen berichten wir immer noch viel zu wenig über die Plattformbetreiber:innen. Es wird zwar viel besser, aber Berichte über Facebook, Twitter und Telegram gehören nicht nur in den Wirtschaftsteil. Das ist hochpolitisch! Zweitens sind Medien selbst zur Zielscheibe geworden. Sie sind im Visier von Demokratiefeind:innen, vor allem von rechts. Die meisten Medienmacher:innen haben aber keine Ahnung, wie viel Orchestrierung teilweise hinter diesen Attacken steckt, wie Shitstorms funktionieren – und welche gar keine sind, sondern massive, aber legitime Kritik. Und dann agieren sie blind und machen Fehler.
Warum ist der Umgangston online eigentlich so viel aggressiver als offline?
Es macht einen Unterschied, ob ich Ihnen in die Augen blicke, wenn ich Sie beleidige. Ich habe viel weniger Empathie für mein Gegenüber, wenn ich das nicht tue. Ich kann dann nicht mit allen Sinnen wahrnehmen, welche Reaktionen meine Botschaft auslöst. Das ist das eine. Eine andere Erklärung, die gerne hinzugezogen wird, ist die Anonymität.
Es gibt Stimmen, die behaupten, eine Klarnamenpflicht für soziale Netzwerke könnte dem rauen Ton etwas entgegensetzen. Facebook verfolgt diesen Ansatz. Möglicherweise ist das Instrument jedoch ein zweischneidiges Schwert: Menschen, die politisch aktiv sind oder diskriminiert werden, haben oft gute Gründe, anonym unterwegs zu sein. Wie sehen Sie das?
Die Klarnamenpflicht ist Quatsch. Ich bin ja selbst ständig in der Auseinandersetzung mit Leuten, die mich im Netz beleidigen oder bedrohen, die unter ihrem richtigen Namen agieren. Die Hemmschwelle ist einfach gesunken. Und da sind wir wieder beim Verschlafen des Themas durch die Politik. Wenn Sie politisch etwas verschlafen, dann verschlafen Sie natürlich auch die Strafverfolgung von Taten. Selbst einer der führenden Staatsanwälte in Deutschland auf dem Feld der Hasskriminalität im Netz, Christoph Hebbecker, sagt, das Internet sei in Teilen ein rechtsfreier Raum. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen wird, wenn er im Netz jemanden beleidigt oder bedroht, ist ziemlich gering. Dafür gibt es nämlich zu wenig Personal bei den Strafverfolgungsbehörden und die, die es gibt, sind heillos überlastet.
Sie selbst haben auch viel Erfahrung mit Online-Hetze. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Rigoros melden. Als nach einem sarkastischen Tweet ein Shitstorm über mich hereinbrach, bekam ich eine E-Mail. Jemand von der Organisation HateAid schrieb mir, sie wollen Opfern von Shitstorms helfen. Ob sie das für mich übernehmen sollen. Sie haben dann Replys und Direktnachrichten nach beleidigenden Inhalten durchsucht und potenziell Strafbares an einen Anwalt übergeben. Das machen sie bis heute für mich.
„Tief in mir drin glaube ich, dass die sozialen Medien etwas Gutes sind.“
– Nicole Diekmann, Journalistin und Korrespondentin
Können Sie denn den sozialen Netzwerken bei all diesen Schattenseiten auch etwas Gutes abgewinnen?
Ja, ganz klar. Ich würde kein 300-Seiten-Buch und alle zwei Wochen eine Kolumne darüber schreiben, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, dass sich etwas verbessern lässt. Tief in mir drin glaube ich, dass die sozialen Medien etwas Gutes sind. Wir alle erleben sehr angenehme Momente dort. Man kommt mit Leuten in Kontakt, die man sonst nie treffen würde, sieht Dinge, die man sonst nie sehen würde. Man nimmt andere Perspektiven ein. Aber die sozialen Medien funktionieren nicht ohne Regulierung. Die muss jetzt endlich passieren.
Es gibt also einen Weg aus der Hassspirale?
Das ist eine gute Frage. Ich habe am Wochenende im Spaß zu einer Freundin gesagt, ohne Social Media wären wir alle besser dran. Das ist natürlich eine Aussage, die man als weiße, privilegierte Frau so sagen kann. Nehmen Sie das Beispiel Clubhouse, worüber wir heute den Kopf schütteln. Ein typischer Hype. Aber im Iran benutzen Menschen Clubhouse als Verbindung zu im Exil lebenden Personen, an der staatlichen Kontrolle vorbei. Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig das ist.
Oder die Rolle der sozialen Medien während des Arabischen Frühlings.
Die Welt lag Mark Zuckerberg zu Füßen! Es ist eben eine Frage, wie wir die sozialen Medien benutzen. Sie können eine Waffe sein, müssen es aber nicht. Man darf die Hoffnung jedenfalls nicht aufgeben.
Wie kann ich selbst dazu beitragen, diese Online-Hassspirale zu durchbrechen?
Natürlich tragen nicht nur die Plattformbetreiber:innen und die Politik eine Verantwortung, gegen Hass im Netz vorzugehen. Ich glaube fest daran, dass wir alle dazu beitragen können, dass der Ton sich ein bisschen beruhigt.
Können Sie dazu ein paar Tipps geben?
Goldene Regel Nummer eins: Sich nicht mitreißen lassen. Wenn man emotional ist und unbedingt etwas liken, kommentieren oder abschicken will, sollte man erst einmal durchatmen. Es steht niemand vor Ihnen und erwartet sofort eine Reaktion.
Zweite Regel: Unterstützung anbieten. Wenn jemand etwas abbekommt, springen Sie der Person zur Seite. Das können Sie offen tun, wenn Sie sich die Reaktionen darauf zutrauen, oder als Direktnachricht. Ich habe das während dieses riesigen Shitstorms selbst erlebt – und es hat mir geholfen. Es hilft einordnen. Wenn Ihnen Leute zur Seite stehen, fühlen Sie sich nicht mehr wie ein:e Geisterfahrer:in auf der Autobahn.
Dritte Regel: Anzeigen und melden. Nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei den Plattformen, damit das in deren Statistiken auftaucht.
Und die vierte Regel: Hilfe suchen. Sie müssen da nicht allein durch. Ob es im Familien- oder Freundeskreis ist, suchen Sie das Gespräch. Es gibt auch professionelle Anlaufstellen für Leute, die einen Shitstorm abkriegen, Profis wie bei HateAid, die das Geschehene analytisch einordnen und entemotionalisieren – und so einen Ausweg schaffen aus der Angst und Hilfslosigkeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Für mehr respektvollen Umgang, online wie offline: Das Projekt „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung setzt sich für ein positives Miteinander ein