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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Upcycling: So wird unsere Kleidung nachhaltiger

Ana Stamenkova bei der Arbeit im Atelier Berliner Stadtmission

Vorgemacht: Mit Upcycling Kleidung und Textilien nachhaltig gestalten

  • Berliner Stadtmission
  • 30. Juni 2023

Die Berliner Stadtmission verarbeitet gespendete Altkleider zu neuen Kleidungsstücken und Textilprodukten. Sie hat dafür sogar ein eigenes Modelabel etabliert. change hat einen Werkstattbesuch vor Ort abgestattet und mit der Designerin Ana Stamenkova darüber gesprochen, warum es sich lohnt, Textilien ein zweites Leben zu schenken, und wie auch du bei deiner Kleidung auf mehr Nachhaltigkeit achten kannst.  

Die Art und Weise, wie wir uns kleiden, ist für uns Menschen seit Jahrtausenden ein wichtiges Mittel, um soziale Signale auszusenden: Wir können unserer Umwelt zeigen, wer wir sind, unserer Kreativität freien Lauf lassen, uns jeden Tag neu erfinden und vieles mehr. In den letzten Jahren ist Mode immer erschwinglicher geworden: Wir können uns also viel öfter etwas Neues leisten, und dementsprechend werden unsere Kleiderschränke immer größer.

Stil hat seinen Preis

Leider war diese Entwicklung nur möglich, weil die Modeindustrie alles andere als nachhaltig produziert: Ausbeutung von Arbeiter:innen, desaströse Arbeitsbedingungen, sehr geringe Löhne, Umweltverschmutzung und eine mehr als schlechte CO2-Bilanz sind nur einige der Vorwürfe, die seit dem Aufkommen der Billigkleidung, der sogenannten Fast Fashion, laut geworden sind.
 


Wir müssen dringend etwas an unserem Modekonsum ändern

Derzeit ist die Textilindustrie weltweit für rund 1,2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich. Das ist mehr als der internationale Flugverkehr und die Kreuzfahrtindustrie zusammen. Wenn wir den Klimawandel eindämmen wollen, müssen wir also dringend auch an unserem Modekonsum etwas ändern. Genau hier setzen Upcycling-Labels wie WaterToWine an. WaterToWine ist Teil eines Inklusionsunternehmens der Berliner Stadtmission und wurde mit dem Ziel gegründet, Nachhaltigkeit und soziales Engagement miteinander zu verbinden: Aus Kleidung und Stoffen, die an die Berliner Textilkammer gespendet werden, entwerfen die Designer:innen neue Produkte. Statt weggeworfen zu werden, bekommen die Textilien so im Sinne der Kreislaufwirtschaft ein neues Leben und werden wiederverwertet.

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Im Textilhafen der Berliner Stadtmission kommt die gespendete Kleidung an

Das Büro von WaterToWine ist direkt an den Textilhafen der Berliner Stadtmission in einem ehemaligen Industriekomplex in der Storkower Straße in Prenzlauer Berg angeschlossen. Im Textilhafen, der ebenfalls zu dem Inklusionsunternehmen gehört, kommen die gespendeten Kleidungsstücke an. Dort werden sie in einem großen Raum sortiert, in dem sich Kleiderkisten und Regale voller Textilien stapeln: Das meiste geht an die Kleiderkammer am Berliner Hauptbahnhof, die Menschen ausstattet, die sich selbst keine Kleidung leisten können. Was nicht für die Kleiderkammer geeignet ist, weil es zum Beispiel nicht saisonal gespendet wurde, wird in Secondhand-Kiezläden weiterverkauft oder wandert in den Materialpool, wo sich Upcycling-Lables wie WaterToWine, aber auch alle anderen Menschen, die Bedarf haben, mit Textilien eindecken können.

Upcycling bedeutet, aus Vorhandenem etwas Neues zu schaffen

Ana Stamenkova ist Designerin und hat WaterToWine im Jahr 2022 übernommen, um es neu aufzubauen. Das Label selbst besteht schon seit 2013 und wurde immer wieder von unterschiedlichen Designer:innen betreut. Eine Zeit lang hatte WaterToWine sogar einen eigenen Laden in Berlin-Mitte, in dem die Upcycling-Kleidung direkt verkauft wurde, den es aber mittlerweile nicht mehr gibt. Der Grundgedanke hinter Upcycling ist, aus dem, was schon da ist, etwas Neues zu machen, ohne die Materialien großartig zu verändern. „Natürlich könnte man die Textilien auch schreddern und neu spinnen, aber das würde viel mehr Energie und Wasser verbrauchen“, erzählt Ana Stamenkova beim change-Besuch im Textilhafen. „Wir haben unglaublich viele Textilien und unglaublich viel Textilmüll. Indem wir aus den vorhandenen Materialien etwas Neues machen, anstatt sie zu verbrennen und wegzuwerfen, gehen wir sozusagen vom kleinsten gemeinsamen Nenner aus und handeln nachhaltig.“

Portrait von Ana Stamenkova

„Für mich ist eine der größten Herausforderungen bei meiner Arbeit, nicht noch mehr Müll zu produzieren.“

– Ana Stamenkova, Designerin des Labels WaterToWine


Die größte Herausforderung: So wenig Müll wie möglich produzieren

Ana hat nachhaltige Mode und Upcycling während ihres Modedesignstudiums in einem Seminar über die negativen Auswirkungen der Modeindustrie kennengelernt und war sofort begeistert. Einige Zeit später entdeckte sie den Textilhafen der Berliner Stadtmission, wo sie sich immer wieder mit Materialien für ihre eigenen Entwürfe eindeckte: „Durch Upcycling habe ich wieder viel mehr Sinn in meiner Arbeit als Designerin gefunden. Eigentlich haben wir alle mehr als genug Kleidung. Wenn ich etwas Neues mache, ist es mir daher wichtig, genau zu überlegen, wie die Dinge hergestellt werden, woher die Materialien kommen und wie sie später entsorgt werden. Für mich ist eine der größten Herausforderungen bei meiner Arbeit, nicht noch mehr Müll zu produzieren.“
 

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Merchandising-Artikel durch Upcycling nachhaltig gestalten

„Für nachhaltiges Upcycling eignen sich am besten ausrangierte Arbeitskleidung oder Merchandising-Artikel, also Textilien, die in großen Mengen und immer im gleichen Design in den Textilhafen kommen“, erzählt Ana. Dafür kann sie sich ein bestimmtes Design ausdenken, das dann in der Produktion auf viele Artikel übertragen werden kann. Firmen, die Merchandising-Artikel in Auftrag geben, sind derzeit auch die Hauptkunden von WaterToWine.
 

Einige Upcycling-Produkte von WaterToWine

So entstehen die Upcycling-Teile von WaterToWine

Wenn WaterToWine einen Upcycling-Auftrag bekommt, wird in einem ersten Schritt von den Designer:innen gesichtet, welches vorhandene Material aus dem Textilhafen dafür geeignet sein könnte. Danach wird der sogenannte Prototyp entworfen, also das Design, nach dem alle weiteren Artikel der Serie produziert werden. Ist das Grunddesign entworfen, geht es in die Produktion, wo die Artikel hergestellt werden. Im Gegensatz zu vielen großen Fast-Fashion-Modeketten, die ihre Produktionsstätten in den letzten Jahren immer mehr in Länder verlagert haben, in denen Arbeitsrecht und Mindestlohn nicht existieren, lässt WaterToWine lokal in der Textilwerkstatt der Johannesstift Diakonie produzieren.

Die Wertschätzung für Kleidung hat abgenommen

Was viele vergessen, wenn es um Upcycling-Kleidung geht, ist, dass die Stücke bei Weitem nicht so billig verkauft werden können wie beispielsweise Secondhand-Mode: „Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten. Die Teile sind zwar aus gebrauchten Materialien, aber sie wurden vor Ort gesammelt, sortiert, entworfen und produziert. So etwas kann man nicht unter dem Mindestlohn verkaufen. Trotzdem müssen wir immer wieder erklären, warum die Teile so viel kosten. Daran sieht man auch“, so Ana, „wie sehr die Wertschätzung für Kleidung in den letzten Jahren gesunken ist.“ Den Grund dafür sieht sie vor allem in den Unmengen an Billigkleidung, die den Markt überschwemmen.

Portrait von Ana Stamenkova

„Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten. Die Teile sind zwar aus gebrauchtem Material, aber sie wurden vor Ort gesammelt, sortiert, entworfen und produziert. So etwas kann man nicht unter dem Mindestlohn verkaufen. Trotzdem müssen wir immer wieder erklären, warum die Teile so viel kosten.“

– Ana Stamenkova, Designerin des Labels WaterToWine


Wir müssen Kleidung wieder mehr wertschätzen

Deshalb ist es für ein nachhaltigeres Verhalten besonders wichtig, dass wir unsere Einstellung zu Kleidung ändern, dass wir Kleidung und die Arbeit, die in ihr steckt, wieder mehr respektieren. Auch ein H&M-T-Shirt für vier Euro wurde nicht von einem Roboter hergestellt, sondern von einem echten Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Träumen, der für seine Arbeit wahrscheinlich nicht fair bezahlt wurde. Dieses T-Shirt nach einmaligem Tragen wegzuwerfen, ist weder nachhaltig noch respektvoll gegenüber der Umwelt und den Menschen, die es hergestellt haben.
 

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Mode lange tragen, reparieren, umgestalten, tauschen und spenden

„Das bedeutet“, betont auch Ana Stamenkova, „dass wir unsere Kleidung am besten so lange wie möglich tragen und so oft wie möglich reparieren sollten.“ Wenn uns ein Teil nicht mehr gefällt, können wir es auch selbst umgestalten, sozusagen den eigenen Kleiderschrank upcyceln. Kleidung und Textilien, die wir gar nicht mehr gebrauchen können, gehören in den seltensten Fällen in den Müll, sondern sollten am besten an lokale Organisationen wie den Textilhafen in Berlin oder an Upcycling-Labels abgegeben werden. Auch Secondhand-Plattformen wie Vinted sind eine gute Möglichkeit, Teile, die man nicht mehr mag, zu verkaufen und Kleidung mit anderen zu tauschen. Wenn doch mal etwas Neues hermuss, dann am besten von nachhaltigen Fair-Fashion-Labels und in Bio-Qualität kaufen.

Nachhaltige Kleidung: Upcycling der eigenen Garderobe

In Zukunft möchte Ana Stamenkova für WaterToWine vor allem das Workshop-Angebot des Labels ausbauen: In den Workshops können alle Interessierten lernen, wie man Kleidung ganz einfach selbst upcyceln und umgestalten kann: Damit unser Modekonsum nachhaltiger wird und wir trotzdem nicht auf Abwechslung im Kleiderschrank verzichten müssen.

Auch die Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich mit der Frage, wie Textilien nachhaltig werden können – zum Beispiel im stiftungseigenen Podcast „Zukunft der Nachhaltigkeit“. In Folge acht klärt Nachhaltigkeitsexperte Robert Peters über das Thema auf.