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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Unterkunft für Ukraine-Geflüchtete: Hilfe, die ankommt

Viele Menschen stehen auf der Straße, einige von ihnen schwenken ukrainische Flaggen. Ein Mensch hält ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift “Stand with Ukraine“ hoch.
Interview
fotosmitnats - stock.adobe.com

Wie der Krieg eine Ukrainerin und eine Deutsche zusammenbrachte

  • fotosmitnats - stock.adobe.com
  • 03. April 2023

Noch immer setzt Russland den Krieg gegen die Ukraine fort. Täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Solidarität mit der Ukraine ist weltweit spürbar. Selten gab es in Deutschland so viel Hilfsbereitschaft von Privatpersonen, die trotz Energiekrise und hoher Inflation Hilfsbedürftige unterstützen. change hat einige dieser Menschen getroffen.

Mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge haben seit Kriegsbeginn in Deutschland Zuflucht gefunden. Fast drei Viertel von ihnen leben in privaten Wohnungen und Häusern. Viele wohnen bei Angehörigen oder Freund:innen, aber auch hilfsbereite Bürger:innen aus ganz Deutschland haben sich dazu bereit erklärt, ukrainischen Geflüchteten eine Unterkunft zu bieten. Wir haben eine deutsche Familie getroffen, die eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen hat, und wollten von beiden Seiten wissen, wie sie das letzte Jahr erlebt haben. Doch zuerst ein Blick zurück.
 


Der russische Angriffskrieg und seine Folgen

An dieser Stelle zu erzählen, was seit Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 alles passiert ist, würde dauern. Es gibt praktische Übersichtsseiten, die viele Infos dazu bündeln, zum Beispiel die der Bundeszentrale für politische Bildung. Klar ist: Der Krieg in der Ukraine hat Auswirkungen weit über die Grenzen des Landes hinaus. Auch du spürst das sicherlich, ob beim Einkauf oder beim Heizen. Für die Menschen in der Ukraine geht es jedoch um viel mehr. Die Zerstörung und Gefahr in der Ukraine zwangen bislang fast fünf Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und in den Ländern der Europäischen Union Zuflucht zu suchen. Es gibt viele Hilfen auf EU- und nationaler Ebene, aber auch viele Privatpersonen unterstützen Geflüchtete. Durch Geld- und Sachspenden, aber auch dadurch, dass Menschen Wohnraum zur Verfügung stellen.

#UnterkunftUkraine: Geflüchtete und Gastgebende zusammenbringen

Ein Ergebnis dieser Hilfsbereitschaft ist das Projekt #UnterkunftUkraine, das von der Bertelsmann Stiftung unter anderem mit kostenlosen Büroräumen unterstützt wird. Die Initiative wurde einen Tag nach Beginn des Angriffskriegs ins Leben gerufen. Die Idee: eine Onlineplattform, die Geflüchtete mit privaten ehrenamtlichen Helfenden zusammenbringt, die Wohnraum zur Verfügung stellen möchten. Gastgebende können sich dort registrieren und werden anschließend mit Ukrainer:innen zusammengebracht. Bisher wurden auf diese Weise 360.000 Schlafplätze von rund 160.000 Helfenden registriert, wodurch mehr als 56.000 Geflüchtete ein Unterkunftsangebot erhalten haben.

Portraitfoto von Maren

Maren, 31 Jahre

Marketing und Fundraising Lead bei #UnterkunftUkraine
Wohnort: Berlin

„In meiner Familie ist es normal, anderen Menschen die Türen zu öffnen und zu helfen, wo wir können. Ich komme also aus einem Haus, wo das schon immer gelebt worden ist.“


Maren ist Teil des Teams von #UnterkunftUkraine. Sie ist dort für Marketing und Fundraising zuständig. Als der Krieg gegen die Ukraine ausbrach, hatte sie durch Social Media von dem Projekt erfahren. Der Aufruf der Initiative, Geflüchtete zu Hause aufzunehmen, stieß bei Marens Familie auf offene Ohren.
 

Kleine Geste mit großer Wirkung: So sieht gelebte Hilfsbereitschaft aus.

Hilfsbereitschaft kennt keine Grenzen: Geflüchtetenunterkunft im eigenen Zuhause

Marens Eltern Michael und Marion sind zwei von vielen ehrenamtlichen Helfenden in Deutschland, die sich privat engagieren. Sie haben zwei Zimmer ihrer Berliner Wohnung für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung gestellt. Seit Mitte März 2022 – also kurz nach Kriegsbeginn – leben die Ukrainerin Hanna und ihre beiden Söhne Vlad und Tymo nun schon bei ihnen. Maren und Hanna haben uns im Interview erzählt, wie diese etwas ungewöhnliche Wohngemeinschaft zustande gekommen ist und wie es den Bewohner:innen mit der Situation geht.

Nachricht vom Krieg in Europa

Was sie empfunden hat, als sie vor etwas mehr als einem Jahr die Nachricht vom Überfall auf die Ukraine erreichte, daran erinnert sich Maren noch sehr genau. Wie viele junge Deutsche ist sie in einem Europa des Friedens aufgewachsen. Obwohl sie wusste, dass es in der Ukraine schon lange Konflikte gab, war sie schockiert und verängstigt, als sie vom Kriegsausbruch erfuhr. Sie fragte sich sogar, ob unser europäisches Friedenskonzept, die EU, in Gefahr sei.
 

Mehr dazu im Podcast „Zukunft gestalten“

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die vermeintlichen Gewissheiten in Europa zerstört. Nichts ist mehr selbstverständlich, vieles muss völlig neu bewertet werden. Zu Gast in diesem Podcast ist Isabell Hoffmann, Europa-Expertin der Bertelsmann Stiftung. Jetzt anhören!


Neue Mitbewohner:innen über Nacht

Als bekannt wurde, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland Zuflucht suchen würden, war schnell klar, dass die Familie einen Teil der Wohnung der Eltern zur Verfügung stellen wollte. Über einen entfernten Bekannten, der zeitweise beruflich in der Ukraine war, erfuhren sie von Hanna und ihren Söhnen. Dann ging alles ganz schnell: „Ich glaube, einen Tag vorher wussten wir, dass sie dann am nächsten Tag kommen würden“, erinnert sich Maren. „In den 24 Stunden davor haben wir noch aufgeräumt, die Zimmer ein bisschen hergerichtet und letzte Sachen besorgt, weil wir auch nicht so richtig einschätzen konnten, wie viel sie dabeihaben werden. Wir waren froh, dass wir noch einige der alten Spielsachen von mir und meinen Schwestern aufgehoben hatten.“ Ein Bekannter habe Hanna und ihre Söhne damals an der polnischen Grenze abgeholt und sie zur Registrierung am Hauptbahnhof gebracht. „Und dann sind sie auch schon bei meinen Eltern angekommen“, sagt Maren.

Hanna mit ihren beiden Söhnen vor dem Brandenburger Tor

Hanna (30 Jahre) und ihre Söhne Vlad (5) und Tymo (3)

Herkunftsort: Kyiv, Ukraine
Aktueller Wohnort: Berlin

„Es ist schwer zu erklären, warum es Menschen gibt, die sich um einen kümmern wollen. In unserer Kultur wird einem normalerweise von den engsten Verwandten geholfen. Aber von Leuten, die einen überhaupt nicht kennen? Das ist sehr ungewöhnlich. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die so etwas tun.“


Hanna stammt ursprünglich aus Turkmenistan. Seit ihrer Schulzeit lebte sie in Luhansk, bevor sie 2016 – aufgrund der Situation nach der Annexion der Krim – mit ihrer Familie nach Kyiv zog. Seit einem Jahr lebt Hanna mit ihren beiden Söhnen in Berlin. Ihr Ehemann und Vater der Kinder ist noch in Kyiv, ebenso wie ihre Mutter und weitere Verwandte.

Kann man sich an Krieg gewöhnen?

In dem Moment, als Hanna vom Überfall Russlands auf die Ukraine erfuhr, konnte sie die Situation kaum begreifen. Sie war schockiert und hatte etwas Panik. Sie fragte sich, was als Nächstes passieren würde. Sie erzählt jedoch auch, dass die Angst bei ihrer ersten Flucht aus Luhansk viel schlimmer war: „Im Vergleich zum ersten Mal hatte ich nicht so viel Angst, weil ich wusste, was ich zu tun hatte“, sagt sie. „Ich musste meine Dokumente mitnehmen und meine Kinder. Man gewöhnt sich an diesen ‚Überlebensmodus‘.“

Eine Person hält ein Schild auf dem "Stand With Ukraine" steht

Frag die Expertin: Was passiert gerade in der Ukraine, Miriam Kosmehl?


Zwei Tage Flucht aus der Ukraine

Zwei Tage dauerte die Flucht der jungen Familie. Hannas Ehemann fuhr sie und ihre Kinder mit dem Auto von Kyiv nach Winnyzja. Von dort ging es mit dem Bus weiter ins polnische Kraków. Dort holte sie Olaf, ein Geschäftspartner ihres Ehemanns aus Deutschland, ab und brachte sie nach Berlin – zu Maren, ihren zwei Schwestern und ihren Eltern. Hanna erinnert sich: „Für uns war das der einfachste Weg in die Sicherheit. Und weil wir einen Kontakt in Deutschland hatten, war das die beste Möglichkeit. Inzwischen ist es viel einfacher, über die Grenze zu kommen, als 2022, damals gab es viele Staus und lange Wartezeiten.“

Um Verbundenheit zu zeigen, muss man nicht dieselbe Sprache sprechen

Am Anfang war vor allem die Sprachbarriere eine echte Herausforderung für alle Beteiligten. Doch Maren berichtet, dass sie sich mit dem Google-Übersetzer gut zu helfen gewusst hätten. Maren und ihre Eltern wohnen nicht weit voneinander entfernt. Von Beginn an hat sie die ganze Familie unterstützt, und Maren und ihre Schwestern verbringen viel Zeit mit den neuen Mitbewohner:innen, besonders mit den beiden Söhnen. Sie erinnert sich noch gut an die erste Zeit: „Am ersten oder am zweiten Abend habe ich mit den Jungs Autorennen gespielt. Die Kinder haben sich sehr darüber gefreut. Ich weiß noch, dass mich die Situation sehr aufgewühlt hat. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass die Familie nun schon zum zweiten Mal geflohen ist, und wegen der Nachrichtenlage, die am Anfang nicht so übersichtlich war. Dann habe ich sie lachen sehen, und das war ein sehr schöner Moment. Aber der Grund, warum sie nun hier sein mussten, der war alles andere als schön.“
 

Ein bisschen Normalität in ganz und gar nicht normalen Zeiten.

Ein bisschen Normalität

Maren erzählt, dass alle miteinander relativ schnell einen ganz normalen Umgang gefunden hätten. Sich immer mal wieder beieinander nach dem Wohlergehen zu erkundigen, das sei Standard, aber Seelsorge von ihrer Seite oder von ihren Eltern sei nicht nötig gewesen. Sie weiß aber auch, dass es hätte anders kommen können. Maren ist zudem klar, dass der Krieg Hanna und ihre Söhne ein Stück weit nach Deutschland begleitet hat. „Aber wir haben versucht, eine Balance zu schaffen“, sagt sie. „Das Thema hat natürlich seinen Platz, aber es nimmt nicht zu viel Raum ein, sodass wir für die drei ein Stück Normalität schaffen können.“

Herausforderung „Ämtermarathon“

Besonders viel Unterstützung war bei den Behördengängen nötig. Anmeldung beim Bürgeramt, die Suche nach Kitaplätzen, Jobcenter, Sprachkurse – das alles bereitet selbst Muttersprachler:innen schon echte Kopfschmerzen. Maren, ihre Eltern und Schwestern haben sich das alles untereinander aufgeteilt, um Hanna und ihren Kindern so schnell wie möglich ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Für die beiden Jungs ist der Kindergarten sehr wichtig. Sie gehen gerne dorthin, und Hanna ist begeistert von dem pädagogischen Konzept, das es so in der Ukraine nicht gibt. Dass vor allem die Kitaplätze so schnell gefunden waren, war ein echter Glücksmoment. „Generell glaube ich, dass das in Deutschland überall ein Problem ist. Wir hatten das Glück, dass wir als Familie ganz gut vernetzt sind und über einen Kontakt dann auch Kitaplätze für die Jungs gefunden haben“, erinnert sich Maren. Die Bürokratie macht zwar ganz schön zu schaffen, Maren bewahrt sich jedoch eine positive Grundhaltung: „Im Laufe des letzten Jahres hat Hanna einen ganzen Ordner voller Dokumente gesammelt, und sie wird sicher bald einen zweiten brauchen, aber wir nehmen das alle einfach mit Humor.“
 


Eine etwas andere Wohngemeinschaft

Eine Küche, zwei Bäder und fünf Zimmer verteilt auf zwei Ebenen: So viel Platz bietet die Wohnung von Marens Eltern. In zwei der fünf Zimmer, in der oberen Etage, wohnen Hanna und ihre Kinder. Von Anfang an legten die Gastgeber:innen Wert auf Selbstbestimmung und Freiheit. „Uns war es wichtig, dass sie selbst entscheiden konnten, wie sie das aufteilen möchten“, sagt Maren. „Jetzt haben sie ein Schlafzimmer und ein Spielzimmer. Die Möbel waren schon da, aber wir haben immer gesagt, dass sie das gemeinsam mit uns gestalten können, damit sie sich wohlfühlen.“ Andere Räume teilt sich die deutsch-ukrainische Wohngemeinschaft. „Die Küche wird von allen gemeinsam genutzt. Es ist wirklich ein bisschen wie eine WG“, schmunzelt Maren. „Und ich fand es auch irgendwie lustig und unerwartet, dass plötzlich in unserer Familienwohnung, wo wir früher zu fünft mit meinen beiden Schwestern gewohnt haben, wieder zwei kleine Kinder herumrennen.“

Alltag in einer (un-)gewöhnlichen Wohngemeinschaft

Inzwischen hat sich in der Wohngemeinschaft eine gewisse Routine eingestellt. Oft wird gemeinsam gefrühstückt, die Kinder werden für den Kindergarten fertig gemacht und von ihrer­­­ Mutter hingebracht. Dann geht Hanna zum Deutschunterricht, während Michael und Marion ihrer Arbeit nachgehen. Nachmittags treffen sich alle nach und nach wieder in der Wohnung. Es wird gekocht und gegessen – zusammen, getrennt, je nachdem, wie es gerade so passt. Die Kinder spielen, oder die Familie telefoniert mit ihren Verwandten und Freund:innen in der Ukraine. Man wächst zusammen. „Mit den Kindern passieren schon ständig lustige Sachen“, sagt Maren. „Zum Beispiel waren meine Eltern eine Zeit lang im Urlaub, und die Jungs haben sie immer gesucht. Als sie dann endlich wieder da waren, haben sich die Kinder total gefreut. Das war echt süß zu sehen.“ Das freut auch Mutter Hanna.
 

Das erste gemeinsame Weihnachtsfest: 2022, im ersten Kriegsjahr, feierten alle gemeinsam.

Eine neue, temporäre Heimat

Abgesehen von der deutschen Sprache, mit der Hanna zu kämpfen hatte, fühlt sie sich sehr wohl in Deutschland. Sie besucht die Sprachschule und freut sich, dass sie hier ihrem Hobby, dem Fotografieren, nachgehen kann. Sie findet in Deutschland vieles, das sie bewahren und in ihre Heimat mitnehmen möchte. „Deutschland ist ein sehr gastfreundliches Land. Auch vonseiten der Regierung. Die finanzielle Unterstützung, die Integrationsmöglichkeiten, all die Möglichkeiten, die man hier hat“, sagt sie. Doch es sei nicht nur das, auch kulturell werde ihr viel ermöglicht. „Ich kann in Museen gehen, die Architektur betrachten, die Kultur und die Lebensweise spüren“, freut sie sich. Doch die Freude ist nicht ungeteilt. Es gibt auch Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat.

Als Ukrainerin in Deutschland: Ein Leben nicht ohne Herausforderungen

Gerade im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven ist für Hanna und ihre Söhne noch vieles unsicher. Das spürt auch Maren: „Manches ist dann eben doch nicht ganz so einfach. Es sind nun schon seit über einem Jahr drei Menschen mehr in der Wohnung, aber irgendwie gibt es dafür auch keine andere Lösung.“ Was genau sie damit meint? „Manchmal wäre es schon schön, wenn wir eine eigene kleine Wohnung für sie finden würden. Aber ich glaube, das wäre auch schwierig, weil Hanna große Angst davor hat, auf sich gestellt zu sein und nicht mehr so in unseren Alltag und unsere Familie integriert zu sein.“ Ein Gefühl, das Maren verstehen kann. Und damit ist sie nicht allein. „Ich glaube, das ist etwas, was viele Gastgebende teilen. Dass man nicht so richtig weiß, was kommt. Es gibt auch nicht wirklich einen Plan vonseiten der Regierung“, sagt sie. „Und so bleiben Hanna, Vlad und Tymo einfach weiter bei uns. Am schönsten wäre es natürlich, wenn der Krieg endlich enden würde und alle Geflüchteten zurück in ihre Heimat und zu ihren Familien könnten.“ Das ist ein Wunsch, den auch Hanna und ihre Söhne haben. So wie Millionen andere.

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Eine neue, zweite Familie – und Werte zum Mitnehmen

Für Hanna und ihre Söhne sind Maren, ihre Schwestern und ihre Eltern mittlerweile zur zweiten Familie geworden. Sie ist extrem dankbar dafür, was für sie getan wurde: Dass Marens Familie sie so herzlich aufgenommen hat. Dass sie und ihre Kinder an den Familienfesten und am Alltag teilhaben können. Immer wieder betont sie, dass sie sich einige Werte, die sie in Deutschland erlebe, auch für ihr eigenes Land wünsche. „Es ist wichtig, die Kultur hier zu sehen, sie zu erleben und einige der Werte zu bewahren“, gibt Hanna zu Bedenken. Was genau? „Zum Beispiel die gegenseitige Unterstützung, Werte innerhalb der Familie, einige Traditionen, einige Feste. Das fehlt uns zu Hause in mancher Hinsicht, mit unserer Geschichte, dem sowjetischen Erbe und all den Veränderungen.“ Was schätzt sie hier am meisten? „Die deutsche Toleranz“, sagt Hanna, „sie kann ein großer Wert sein, den wir uns zu eigen machen sollten.“
 


Angriffskrieg gegen die Ukraine: Wie geht es weiter?

Wann der Krieg gegen die Ukraine enden wird, ist derzeit noch unklar. Maren jedenfalls sagt, dass sie und ihre Eltern sich jederzeit wieder für die Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlingen entscheiden würden. Vor allem die große Welle der Hilfsbereitschaft, die nach dem Beginn des Krieges durch Deutschland und ganz Europa ging, hat sie bewegt – und nicht zuletzt dazu gebracht, #UnterkunftUkraine auch beruflich zu unterstützen. „Bei den weltweiten Krisen der vergangenen Jahre habe ich mich oft gefragt, wo das Menschliche in unserer Welt geblieben ist“, sagt sie. Trotz des Zweifels hat sie Hoffnung. „Ich glaube aber, dass es viel mehr gibt, was uns als Menschen verbindet. Die Situation im letzten Jahr hat gezeigt, dass Menschen dazu bereit sind, ihre Türen zu öffnen und zu helfen. Und ich finde es richtig schön, dass wir es bei #UnterkunftUkraine geschafft haben, diese Solidarität der Gesellschaft abzubilden“, freut sie sich. „Das ist das Größte, was ich an Positivem aus dieser sehr schlimmen Situation mitnehmen kann“, gibt sie uns mit. „Ich würde mir sehr wünschen, dass wir öfter so aufeinander zugehen.“

Wünsche für die Zukunft

Hanna erzählt, dass sie selbst nach all dem, was passiert sei, keine Aggressionen gegen Russland verspüre. Es mache sie traurig zu sehen, wie viele Familien durch den Krieg in der Ukraine auseinandergerissen geworden seien. Die Ungewissheit mache ihr immer noch Angst. Doch es gebe auch positive Momente, sie sei überwältigt von all der Hilfsbereitschaft, die ihr Heimatland auf vielen Ebenen erfahren habe. Vor allem aber wünsche sie sich, dass der Krieg endlich aufhöre. Das wünsche sie sich vor allem für ihre Kinder. „Denn meine Zukunft ist die Zukunft meiner Kinder, und ich sorge mich um sie. Darum, dass sie eine gute Ausbildung bekommen“, sagt Hanna. „Eine gute Ausbildung, bei der sie selbst entscheiden können, was ihnen gefällt“, führt sie aus. „Vlad mag Zeichnen und Kunst, vielleicht ist das seine Zukunft. Tymo mag Singen und Laufen. Im Grunde sollen sie das tun können, was ihnen gefällt. Das ist es, was ich mir erhoffe.“

Unterstützung willkommen, auch jetzt!

Solidarität und Unterstützung werden auch ein Jahr nach Kriegsbeginn dringend gebraucht. Denn obwohl schon viel geholfen und vieles ermöglicht wurde: Der Krieg dauert an, und es gibt immer noch viele Menschen, die Hilfe benötigen. Maren erzählt, wie man tätig werden kann: „Abgesehen davon, dass auch immer noch Unterkünfte gebraucht werden, kann man sich natürlich auch anderweitig ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel in lokalen Initiativen.“ Es gibt aber auch andere Wege: „Oder tatsächlich einfach spenden, zum Beispiel auch an #UnterkunftUkraine. Es gibt auch verschiedene Möglichkeiten, Sachspenden abzugeben. Sehr sinnvoll ist es auch, Geflüchtete bei Behördengängen und der ganzen deutschen Bürokratie zu unterstützen.“ Und auch das: „Sich einfach als Menschen zu begegnen, offen zu sein und sich auszutauschen.“

Solidarität in Krisenzeiten

Maren und #UnterkunftUkraine arbeiten weiterhin daran, Hilfe für Geflüchtete zu leisten. Durch die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen und öffentlichen Einrichtungen soll aus dem Projekt eine nachhaltige Organisation mit dauerhafter Infrastruktur werden. Ein Projekt, das auch Helfende unterstützt, damit es einfacher wird, Hilfe zu leisten und Austausch zu finden. Langfristig möchte die Initiative erreichen, dass zivilgesellschaftliche Solidarität in Krisensituationen zu einem festen Bestandteil der Lösungsstrategien wird.

Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich für die Unterstützung Geflüchteter aus der Ukraine und beschäftigt sich mit wichtigen Fragen rund um die Krisensituation in Deutschland und Europa. Mehr Infos darüber, was in einem Jahr Ukrainekrieg alles passiert ist, sowie Zahlen, Daten und Fakten bekommst du hier.