Besim Mazhiqi
gamescom: Zwischen Discord und Demokratie
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Besim Mazhiqi
- 01.12.2025
Gaming ist nur Hobby? Von wegen. Auf der gamescom zeigt sich, wie politisch und persönlich Gaming wirklich ist. Wir zeigen, warum Games viel mehr mit unserer Gesellschaft zu tun haben, als viele denken.
Auf der gamescom, der weltweit größten Computerspiele-Messe, geht es längst nicht nur um das Testen neuer Spiele. Wer hier ansteht, will eintauchen, erleben, für einen Moment Teil des Spiels sein – am besten, bevor es offiziell erscheint. Die Messe, die jährlich in Köln stattfindet, ist eine Mischung aus Jahrmarkt, Festival und Hightech-Show. Menschenmassen strömen wie Wellen durch die Hallen, die Luft ist trocken und schwer vom Gemisch aus warmem Kunststoff, Parfüm und Energy Drinks. In das Stimmengewirr Tausender Menschen wummern Bässe, auf den gigantischen Leinwänden flackern Trailer, von irgendwoher schreit ein Moderator ins Mikrofon. Dies ist eine eigene Welt, die fünf Tage lang die reale überstrahlt. In diesem Jahr zählten die Veranstalter:innen 357.000 Besucher:innen.
Gaming verbindet – auch politisch
Doch jenseits des Spektakels geht es auch um eine andere Dimension: Gaming ist weit mehr als bloßer Zeitvertreib. Das zeigt die Studie „Spielräume für Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung. Sie belegt, dass Gaming-Communitys wichtige Räume für Austausch, Teilhabe und sogar politische Sozialisation sind. Mehr als zwei Drittel der Deutschen ab 16 Jahren spielen demnach digitale Spiele – bei den 16- bis 34-Jährigen sind es sogar 86 Prozent.
Vor allem die Jüngeren vernetzen sich auf Plattformen wie Twitch oder Discord, wo sie nicht nur über Highscores und Ladezeiten reden, sondern auch über Gesellschaft, Politik und das Leben. So gab in der Studie zum Beispiel jede:r zweite:r Gaming-Enthusiast:in an, mit anderen Spieler:innen über politische Themen zu diskutieren. Gaming-Enthusiast:in werden alle Befragten genannt, die sich selbst als Gamer:in bezeichnen und mehrmals pro Woche an einem Computer oder einer Konsole spielen. Gaming schafft Verbindungen, die weit über das Digitale hinausreichen. Vor allem Jüngeren dient es als Brücke zwischen digitaler und analoger Welt. Mehr als die Hälfte der 16- bis 34-jährigen Spieler:innen gab in der Studie an, durch Gaming Freundschaften geschlossen zu haben, viele treffen sich auch offline.
Vom Like zur Langzeitliebe
So wie Daria (29) und Hendrik (34), die sich auf einer Bank vom Messegetümmel ausruhen. Die beiden wirken wie ein Paar, das auch in einer ruhigen Altbauküche sitzen könnte – wären da nicht die bunten Bildschirme, die Dauerbeschallung und die Cosplayer:innen in ihren aufwendigen Kostümen, die im Hintergrund vorbeiziehen. „Wir haben uns vor 15 Jahren über einen Stream kennengelernt“, erzählt Daria. „Hendrik hat einen Kommentar geschrieben, den ich lustig fand und gelikt habe – so sind wir auf Facebook Freunde geworden.“ Es folgten gemeinsames Online-Gaming und eine Fernbeziehung über 400 Kilometer. Heute leben sie seit sechs Jahren zusammen. Fürs Spielen geben sie viel Geld aus: Sie haben zwei Rechner mit schnellen Prozessoren, leistungsstarken Grafikkarten und Monitoren, außerdem mehrere Spielkonsolen. „Ich verbringe viel Zeit mit Gaming“, sagt Hendrik. „Trotzdem ist es nicht das, was mich ausmacht. Ich habe auch andere Hobbys, gärtnere und mache Musik.“
Gaming als eine kulturelle Ausdrucksform unter anderen zu betrachten, ist auch Stephan Bliemel (47) wichtig. Er ist als Creator auf der gamescom, also jemand, der Inhalte rund ums Gaming produziert. Unter dem Pseudonym „Steinwallen“ stellt er auf seinem YouTube-Kanal Spiele mit historischem Bezug vor. Mit seinen „Let’s Play“-Videos, bei denen er durch die Spiele läuft und währenddessen kommentiert, erreicht er mehr als 112.000 Abonnent:innen. Für sein Engagement zwischen Gaming und Geschichte hat ihn die Jury des Deutschen Computerspielpreises 2025 als Spieler des Jahres ausgezeichnet.
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„Gaming-Communitys werden bislang von Politik und Öffentlichkeit zu wenig ernst genommen oder übersehen.“
Dr. Joachim Rother, Experte der Bertelsmann Stiftung für Gaming und Demokratie
Normalität statt Nische
„Wir sollten Gamer:innen nicht als etwas Exotisches betrachten – so wie wir auch Fernsehzuschauer:innen oder Buchleser:innen nicht für exotisch halten“, sagt Stephan. „Computerspieler:innen sind ein normaler Teil unserer Gesellschaft.“ Neu sei hingegen, dass sich die digitale Generation auch unabhängig von Games im Online-Umfeld bewege. „Sie kommuniziert und informiert sich im digitalen Raum, zum Beispiel in Social Media. Ein Großteil ihres Lebens spielt sich in der digitalen Welt ab.“ Die hohe Digitalaffinität der Gamer:innen zeigt sich auch in der Studie der Bertelsmann Stiftung: Während 29 Prozent der Gaming-Enthusiast:innen angeben, (sehr) großes Vertrauen in Social Media zu haben, sind es in der allgemeinen Bevölkerung gerade einmal 8 Prozent. „Gaming-Communitys werden bislang von Politik und Öffentlichkeit zu wenig ernst genommen oder übersehen“, sagt Dr. Joachim Rother, Experte der Bertelsmann Stiftung für Gaming und Demokratie. „Es ist an der Zeit, ihr demokratisches Potenzial zu nutzen.“
Doch die Studie spricht auch von Brüchen: Je intensiver der Austausch, desto häufiger berichten Gamer:innen von Diskriminierung oder Mobbing. Problematisch sind auch antisemitische, sexistische und queerfeindliche Einstellungen, die in diesen Gruppen häufiger vorkommen als im Durchschnitt.
Diskriminierung als Schattenseite
Auch Luise und Emily, beide 21, berichten von sexistischen Kommentaren, vor allem wenn sie EgoShooter spielen: „Sobald einige merken, dass du eine Frau bist, kommen Sprüche wie ‚Geh lieber in die Küche‘“, berichtet Luise. Sie meldet solche Vorfälle den Entwicklern oder Plattformen – und freut sich, dass mittlerweile Rückmeldungen kommen, etwa ob die betroffenen Konten geblockt wurden. „Es ist gut zu sehen, wenn man etwas bewirken kann.“ Die beiden sind Cosplayerinnen, tragen Perücken und sind aufwendig geschminkt. Gerade haben sie sich am Messestand des Bundesnachrichtendienstes (BND) einen Stoffbeutel mit Bildern aus der dortigen Fotobox abgeholt. Der stilisierte Bundesadler auf der Tasche wirkt wie ein Fremdkörper in der bunten Fantasiewelt.
Staatliche Institutionen wie der BND oder die Bundeswehr buhlen in der „Career Area“ mit VR-Brillen und Robotern um die Aufmerksamkeit junger Spieler:innen und werben für einen Berufseinstieg. Luise und Emily sind hauptsächlich am Stand des Nachrichtendiensts, weil sie dessen Computerspiel „BNDLegenden“ ausprobieren wollen. Darin schlüpft man in die Rolle von Agent:innen und muss verschiedene Missionen erfüllen – möglichst ohne entdeckt zu werden. Mit Politik kommen die angehende Hebamme und die Evolutionsbiologin dabei normalerweise nicht in Berührung. „Aber wenn Influencer:innen oder Streamer:innen von meiner politischen Einstellung weit weg sind, folge ich ihnen nicht.“
Der Content liefert die Haltung mit
YouTuber Steinwallen bestätigt, dass Content-Creator immer eine Weltanschauung mitliefern, auch wenn sie – wie er selbst – politische Inhalte auf ihrem Kanal ausklammerten. „Durch die Art und Weise, wie man seine Videos gestaltet, wie man mit Sprache umgeht, wird immer etwas mittransportiert: Botschaften, Werte, ein Bild von unserer Welt.“ Maurice (23) findet, dass es in allen Spielen politische Statements gibt, wenn man zwischen den Zeilen liest. „Spieleentwickler:innen sind auch nur Menschen mit einer politischen Meinung.“ Er selbst versuche, Gaming und Politik zu trennen. „Ich möchte unterhalten werden und in eine andere Welt eintauchen.“ Das gilt auch für seinen Besuch auf der gamescom. Er hat sich als weibliche Figur des Strategiespiels „League of Legends“ verkleidet, trägt ein goldglänzendes Kleid, eine Perücke mit langen blonden Haaren und einen regenbogenfarbenen Zauberstab. „Mir macht es einfach Spaß, in eine andere Rolle zu schlüpfen“, begründet er sein opulentes Kostüm, für das er auf seinen Streifzügen durch die Messehallen viel positives Feedback bekommen hat. Hier, in der gamescomBubble, mag er es tragen. „Kaum jemand würde mir ins Gesicht sagen, dass er mich doof findet. Im Internet wäre das bestimmt anders – da würde ich wahrscheinlich auch negative Kommentare kriegen.“
Neben Diskriminierung erweist sich laut Studie auch Einsamkeit als Problem unter Spieler:innen: 58 Prozent der jungen Gaming-Enthusiast:innen stufen sich als moderat oder stark einsam ein. Dabei ist Einsamkeit mehr als ein individuelles Problem – sie kann auch zur gesellschaftlichen Herausforderung werden. Wer sich dauerhaft unverbunden, übersehen oder missverstanden fühlt, neigt häufiger dazu, Verschwörungserzählungen zu glauben oder autoritäre Denkmuster zu übernehmen.
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„In Gaming-Communitys spiegeln sich viele Probleme der Gesellschaft.“
Jessica Gerke, Jugendexpertin der Bertelsmann Stiftung
Spiegel der Gesellschaft
Jessica Gerke, Jugendexpertin der Bertelsmann Stiftung, sieht hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: „In Gaming-Communitys spiegeln sich viele Probleme der Gesellschaft. Frauenfeindliche oder homophobe Haltungen finden sich besonders häufig bei jungen Männern, die drei Viertel der Gaming-Enthusiast:innen ausmachen.“ Indem man die GamingCommunitys stärker in den Blick nehme, steige die Chance, betroffenen jungen Menschen zu helfen und antidemokratischen Tendenzen zu begegnen, so Gerke. Zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch Schulen bietet sich die Chance, über die Verknüpfung von populären Game-Titeln mit gesellschaftlich relevanten Themen innovative Angebote für junge Menschen zu schaffen.
Das sieht Mascha Buchwald (27) ähnlich. Die Studentin schreibt gerade ihre Bachelorarbeit über „Kapita - lismuskritik in Rollenvideospielen und Möglichkeiten der sozialen Arbeit“. Dafür informiert sie sich am Messestand der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie spielt selbst komplexe Rollenspiele mit tiefgründigen Geschichten und komplexen Figuren, mindestens acht Stunden pro Woche. „Gaming ist Teil der Lebenswelt junger Menschen“, sagt sie.
„Wie Bücher oder Filme erzählen auch Videospiele Geschichten. Sie greifen historische Ereignisse auf, verarbeiten gesellschaftliche Fragen und eröffnen neue Perspektiven.“ In ihrem Studium komme das kaum vor. „Es geht fast nur um Suchtgefahr. Dabei steckt in Spielen so viel Potenzial.“
Games statt Netflix
Vorurteile begegnen ihr immer wieder, etwa dass Videospiele Geballer und Zeitverschwendung seien und sie lieber „was im echten Leben machen“ solle. „Oft kommt das von Leuten, die abends Serien auf Netflix bingen. Für mich ist das im Grunde das Gleiche – nur dass ich beim Spielen aktiv bin, während man Filme oder Serien konsumiert.“ Sich gesellschaftlich zu engagieren, ist der Studentin wichtig. Als Mitglied der Partei Die Linke ist sie im Vorstand ihres Kreisverbands aktiv. Damit gehört sie zur Gruppe der Gamer:innen, die sich laut Studie überdurchschnittlich in demokratische Prozesse einbringen: 45 Prozent der Gaming-Enthusiast:innen gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten an einer Unterschriftensammlung oder einer Maßnahme zur Bürgerbeteiligung mitgewirkt zu haben. Das sind 6 Prozentpunkte mehr als in der Gesamtbevölkerung. „Gaming-Communitys sind alles andere als unpolitisch“, sagt Joachim Rother von der Bertelsmann Stiftung. „Für viele junge Menschen sind sie wichtige Kanäle der politischen Meinungsbildung und helfen beim Erlernen demokratischer Spielregeln.“
Spielen als Beziehungskleber
Caro (27) und Ingo (40), beide Ingenieure, möchten Spiele und Politik lieber trennen. Sie spielen fast täglich online mit ihren Freund:innen. Vorher reden sie auf Discord über Privates, manchmal auch über Politik. „Andere treffen sich im Wirtshaus, wir online“, sagt Ingo. Erst nach diesem Austausch geht’s ins Game. Das Paar wartet in der Schlange zum historischen „Anno“-Spiel. Als sie an der Reihe sind, setzt sich Caro den goldenen Lorbeerkranz auf, den alle Spieler:innen bekommen, nimmt am Rechner neben Ingo Platz. Danach versinken beide für eine halbe Stunde in ihrer antiken Aufbauwelt. In Kürze werden sie gemeinsam mit einem Bulli durch Deutschland touren, um einige Freund:innen zu besuchen, die sie online beim Spielen kennengelernt haben. „Für uns ist es wichtig, ein gemeinsames Hobby zu haben“, sagt Ingo später. „Manche Paare schauen Fußball – wir spielen. Mal zusammen, mal jeder für sich.“ Und Caro ergänzt lachend: „Den Satz ‚Mach jetzt endlich mal die Kiste aus!‘ wird man bei uns nicht hören.“
Bei der Bertelsmann Stiftung arbeiten wir programmübergreifend daran, gesellschaftliche Teilhabe, demokratische Kompetenzen und digitale Resilienz zu stärken. In Projekten wie „Bildung und Next Generation” oder Publikationen wie „Spielräume für Demokratie” entwickeln wir aus verschiedenen Perspektiven Konzepte, die sozialen Zusammenhalt fördern, Teilhabe ermöglichen und einen reflektierten Umgang mit digitalen Räumen unterstützen.




