
Vom Frust zur Hoffnung: Wie Mitbestimmung deine Welt verändert
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Amy Elting – unsplash.com/license
- 10. Juli 2025
Du fühlst dich manchmal machtlos, wenn es um die großen Ungerechtigkeiten in der Welt geht? Mitbestimmung kann das ändern – und zwar direkt im Alltag, meint Ronny Matthes, den das Thema in seinem Beruf als politischer Referent begleitet. Erfahre, wie du am Arbeitsplatz nicht nur für bessere Bedingungen kämpfen, sondern auch die Demokratie stärken kannst.
Warum sind faire Arbeitsbedingungen so wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Das haben wir Ronny Matthes gefragt. Er setzt sich als politischer Referent für Kommunikation beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) genau dafür ein. Im Interview erzählt er, warum es sich auch für deine mentale Gesundheit lohnt, am Arbeitsplatz für faire Bedingungen zu kämpfen.

Ronny Matthes …
… ist politischer Referent für Kommunikation beim Deutschen Gewerkschaftsbund und Mitglied bei ver.di, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Bis 2024 hat er durch die Agentur ressourcenmangel das change Magazin der Bertelsmann Stiftung mitbetreut.
Ronny Matthes online:
change | Hallo Ronny, gab es für dich einen Moment, der deine Haltung zu gesellschaftlichem Zusammenhalt geprägt hat?
Ronny Matthes | Ja, den gab es. Ich war in der neunten Klasse, als in Berlin eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg demonstrierten. Das war die größte Friedensdemo im wiedervereinigten Deutschland. Die Straßen waren voll – bunte Plakate, Fahnen, Transparente, Menschen, die gemeinsam für ein Ziel eingestanden sind. Die gegenseitige Unterstützung, die gemeinsamen Werte und die breite Beteiligung machten mir klar: Echter Wandel ist möglich, wenn Menschen zusammenkommen und sich für ein gemeinsames Ziel einsetzen.
Und was bedeutet „gesellschaftlicher Zusammenhalt“ für dich konkret?
Zusammenhalt heißt für mich: Wir vertrauen einander, wir unterstützen uns, wir ziehen an einem Strang. Ohne dieses Miteinander funktioniert Demokratie nicht. Denn Demokratie lebt davon, dass wir uns als Teil eines Ganzen sehen – und bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen.
Du setzt dich beim DGB für eine faire Arbeitswelt ein: Was haben der gesellschaftliche Zusammenhalt und gute Arbeitsbedingungen miteinander zu tun?
Eine ganze Menge. Gute Arbeitsbedingungen fördern nicht nur unser Wohlbefinden, sondern auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wenn wir fair behandelt und bezahlt werden, wenn wir mitentscheiden dürfen, dann erleben wir Anerkennung. Das stärkt unser Vertrauen – in den Job, aber auch in die Demokratie. Umgekehrt untergräbt ein schlechtes Arbeitsumfeld dieses Vertrauen. Wer sich übergangen oder ausgenutzt fühlt, verliert den Glauben an ein faires Miteinander.
Mitbestimmung an der Uni
Mitbestimmung gibt es nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch an Universitäten. Als Studi kannst du über verschiedene Gremien Einfluss auf die Gestaltung deines Unialltags nehmen:
- Studierendenvertretung (AStA/StuRa): Hier setzen sich gewählte Vertreter:innen für die Interessen der Studierenden ein – von besseren Lernbedingungen bis hin zu sozialer Unterstützung.
- Fakultäts- oder Fachbereichsräte: In diesen Gremien kannst du als Student:in bei wichtigen Entscheidungen mitreden, zum Beispiel bei der Vergabe von Geldern oder der Gestaltung von Studien- und Prüfungsordnungen.
- Senat: Der Senat ist das höchste Gremium der Universität. Hier werden zentrale Themen wie die strategische Ausrichtung der Uni oder die Berufung von Professor:innen diskutiert – und auch Studierende haben hier ein Mitspracherecht.
Mitbestimmung an der Uni ist gelebte Demokratie und eine Chance, deine Hochschule aktiv mitzugestalten. Also: Mitmachen lohnt sich!
Viele setzen Demokratie zunächst eher mit politischen Prozessen gleich, etwa mit Wahlen oder dem Engagement in einer Partei. Wie kann man Demokratie im Arbeitsalltag erleben?
Durch Mitbestimmung auch am Arbeitsplatz. Demokratie endet nicht an der Wahlurne – sie gehört auch in die Firma, in die Werkstatt, ins Büro. Wenn Beschäftigte mitreden können, wenn Betriebsräte aktiv sind, dann verbessert sich nicht nur das Arbeitsklima. Die Menschen fühlen sich auch stärker eingebunden und interessieren sich mehr für Politik, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen.
Viele Menschen fühlen sich heutzutage einsam und haben das Gefühl, nichts ändern zu können. Was bewirkt Mitbestimmung bei den Einzelnen?
Vor allem eins: Es gibt uns das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können. Du merkst, dass du etwas bewegen kannst. Deine Stimme zählt. Dein Selbstvertrauen wird stärker, was dich wiederum vor Frust und Resignation schützt und weniger empfänglich für populistische oder antidemokratische Strömungen macht.
Mitbestimmung im Unternehmen?
Ein Betriebsrat ist die Stimme der Mitarbeitenden in einem Unternehmen. Gewählt wird er von dir und deinen Kolleg:innen, um eure Interessen auf der Arbeit zu vertreten. Er ist dazu da, deine Rechte zu stärken, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und sicherzustellen, dass du nicht einfach übergangen wirst. In der Privatwirtschaft heißt diese Interessenvertretung Betriebsrat, im öffentlichen Dienst Personalrat. Außerdem gibt es noch spezielle Vertretungen für Schwerbehinderte (Schwerbehindertenvertretung, kurz SBV) sowie Azubis und dual Studierende (Jugend- und Auszubildendenvertretung, kurz JAV).
Was bringt der Betriebsrat konkret?
- Mehr Mitbestimmung: Du kannst über den Betriebsrat Einfluss auf Entscheidungen nehmen, die deinen Job betreffen. Und auch selbst Teil des Betriebsrats werden! Jede:r Beschäftigte, die:der 18 Jahre alt ist und dem Betrieb, dem Unternehmen oder dem Konzern seit mindestens sechs Monaten angehört, kann sich zur Wahl stellen. Wählen darf man schon ab 16 Jahren.
- Bessere Bedingungen: Unternehmen mit Betriebsräten zahlen oft besser, bieten mehr Urlaub und sorgen für gerechtere Arbeitszeiten.
- Rückendeckung: Bei Stress mit den Vorgesetzten oder Problemen im Team ist der Betriebsrat auf deiner Seite.
- Sicherheit: Er achtet darauf, dass Gesetze und Vereinbarungen eingehalten werden.
Wie kann Solidarität im (Arbeits-)Alltag zum Beispiel aussehen?
Stell dir vor, dein Unternehmen geht in Kurzarbeit. Der erste Schock sitzt tief, weniger Lohn, mehr Unsicherheit. Aber wenn es einen aktiven Betriebsrat gibt, der sich um faire Lösungen bemüht, wenn Kolleg:innen zusammenhalten, Aufgaben übernehmen, sich gegenseitig Mut machen – dann wächst das Vertrauen. Man geht gestärkt aus der Krise. So wird Solidarität erlebbar. Und was am Arbeitsplatz funktioniert, kann sich auf andere Bereiche übertragen: in der Nachbarschaft, im Verein, in der Gesellschaft.
Was kann jede:r persönlich tun, um Mitbestimmung zu stärken?
Was sich immer lohnt: Informiere dich über deine Rechte. Viele wissen gar nicht, was ihnen eigentlich zusteht, dabei ist Wissen der erste Schritt zur Veränderung. Mache dir Gedanken, wo und in welchem Rahmen du dich engagieren möchtest – in der Arbeitswelt oder in anderen Bereichen. In meinem Fall habe ich mich hauptamtlich für eine Gewerkschaft entschieden, aber das muss nicht für jede:n das richtige sein. In Sport- und Freizeitvereinen, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Tierheim oder zum Beispiel als Wahlhelfer:in es gibt so viele Möglichkeiten.
Was gibst du Menschen mit, die zweifeln, ob sich Engagement lohnt?
Mitbestimmung gibt Hoffnung. Sie zeigt: Du bist nicht allein. Gemeinsam finden wir Lösungen. Das stärkt nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch unsere Demokratie. Es liegt an uns, daraus etwas zu machen – für mehr Gerechtigkeit und eine Gesellschaft, in der jede Stimme zählt.
Vielen Dank für das Gespräch, Ronny!
Der demografische Wandel ist in vollem Gange: Doch wie können wir die Rechte junger Menschen in einer Gesellschaft stärken, die immer älter wird? Damit beschäftigen sich die Expert:innen der Bertelsmann Stiftung im Projekt „Engagement junger Menschen für Demokratie“. Und mit dem Projekt „Beschäftigung im Wandel“ weisen sie Wege zu Zukunftskompetenzen und guter Arbeit für alle, mit Transparenz über Veränderungen am Arbeitsmarkt.