Welt-Braille-Tag: Vor diesen neuen Herausforderungen steht Barrierefreiheit heute
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- 04. Januar 2023
In Deutschland leben über eine Million blinde und sehbehinderte Menschen. Dass sie trotzdem lesen können, ist dem Franzosen Louis Braille zu verdanken. Zum Welt-Braille-Tag am 4. Januar begibt sich change auf die Spuren des Erfinders der Blindenschrift und fragt sich, welche neuen Herausforderungen und Barrieren die digitale Welt für Menschen mit Behinderung birgt.
Was verbindest du mit Barrierefreiheit? Die meisten Menschen denken zuerst an Behindertenparkplätze, Treppenrampen oder Blindenleitsysteme. Dass der Begriff in Zeiten von Social Media, Online-Dating und Co. viel größer gedacht werden muss, gerät dabei oft in Vergessenheit. Denn sich frei im Internet zu bewegen, ist für einen Großteil der Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit geworden. Einen ebenso wichtigen Teil der Gesellschaft stellt diese Entwicklung allerdings vor völlig neue Hürden.
Punkte statt Buchstaben: Die Anfänge der Brailleschrift
Sechs Punkte, 64 Kombinationsmöglichkeiten für Zahlen, Buchstaben und Zeichen: Das ist die Brailleschrift. Der Franzose Louis Braille erfand das Punktschriftsystem Anfang des 19. Jahrhunderts aus der eigenen Not heraus. Gerade einmal drei Jahre war er alt, als er sich mit einem Messer in der Sattlerwerkstatt seines Vaters am Auge verletzte. Eine Infektion breitete sich schließlich über beide Augen aus und der junge Louis Braille erblindete vollständig.
Seiner Lebensfreude und Wissbegierde tat das allerding keinen Abbruch: Sein Vater brachte ihm das Schreiben mit Nägeln bei, die er in Holzbretter schlug, sodass Louis Braille sogar die Dorfschule besuchen konnte. Später, im Alter von zehn Jahren, ergatterte er einen Platz an der ersten Blindenschule der Welt in Paris. Dort gab es bereits Bücher mit einer speziellen Tastschrift, über die sich Schwarzschrift mit den Fingern ertasten ließ. Für Louis Braille war das jedoch nicht genug.
Louis Braille: Vorreiter in Sachen Inklusion
Er experimentierte in der Werkstatt seines Vaters und entwickelte schließlich im Jahr 1825 mit nur 16 Jahren die nach ihm benannte Brailleschrift: ein neues Alphabet aus verschiedenen Punktkombinationen, das heute weltweit von blinden und sehbehinderten Menschen genutzt wird und ihnen mehr Teilhabe ermöglicht. So wurde Louis Braille zum Vorreiter in den Bereichen Barrierefreiheit und Inklusion. An seinem Geburtstag, dem 4. Januar, werden er und seine Erfindung deshalb jährlich zum Welt-Braille-Tag geehrt.
Digitale Barrierefreiheit: Deshalb dürfen wir sie nicht vergessen
Seitdem Louis Braille die Blindenschrift im 19. Jahrhundert erfunden hat, hat sich viel getan und zahlreiche Barrieren wurden abgebaut. Gleichzeitig sind durch die Digitalisierung auch neue Barrieren entstanden, denn neue Chancen bedeuten auch neue Herausforderungen. Wenn Rollstuhlfahrer:innen vor einem defekten Aufzug stehen, dann werden die Barrieren des Alltags für uns alle sichtbar. Dass es auch im Netz zahlreiche Barrieren gibt, ist für Menschen ohne Behinderung oft weniger offensichtlich. Damit das Internet für uns alle zugänglicher wird, sollten wir uns deshalb viel öfter fragen, was barrierefreie Digitalisierung eigentlich bedeutet und wie wir sie selbst im Alltag umsetzen können.
Für mehr Teilhabe: Alle Menschen von Anfang an mitdenken
Im Grunde bedeutet Barrierefreiheit im Netz, ebenso wie außerhalb der digitalen Welt, alle Menschen von Anfang an mitzudenken - unabhängig von Herkunft, Sprache oder körperlichen und geistigen Einschränkungen. Die Teilhabe auf digitalen Plattformen ist für das Knüpfen privater Kontakte und beruflicher Netzwerke heutzutage unverzichtbar geworden. Umso frustrierender, dass die Teilhabe oft an vermeidbaren Problemen wie schlecht lesbaren Textfeldern, (Bewegt-)Bildern ohne Alternativtexte oder nicht tastbaren Touchscreens und Displays scheitert.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Digitalisierung schafft einerseits neue Hürden für die Barrierefreiheit, sie bietet mit modernen Softwaresystemen, Apps, künstlicher Intelligenz und smarten Technologien aber auch innovative Lösungen für die barrierefreie Digitalisierung.
Richtlinien für mehr Inklusion: Das sind die Web Content Accessibility Guidelines
Eine Möglichkeit, die Angebote im Netz für alle Menschen zugänglicher zu machen, sind die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese Richtlinien geben Aufschluss darüber, wie Webinhalte für Menschen mit Behinderungen, egal welcher Art, leichter konsumiert werden können. Für die Webentwickler:innen bedeutet das nur einen minimalen Aufwand, für Menschen, die online auf Barrierefreiheit angewiesen sind, macht es hingegen einen großen Unterschied.
Digitale Inklusion und barrierefreie Webgestaltung
Die Web Content Accessibility Guidelines orientieren sich an vier unterschiedlichen Schlagwörtern: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Nur Webseiten, die diesem Leitfaden folgen, können auch problemlos von smarten Technologien wie Screenreadern oder Apps gelesen werden. Zu den vier maßgeblichen Richtlinien für barrierefreies Webdesign gehören folgende Maßnahmen:
• Einfache und leicht verständliche Sprache verwenden
• Alternativtexte für Grafiken und Bilder oder Untertitel in Videos anbieten
• Layouts übersichtlich gestalten
• Navigation über die Tastatur ermöglichen
• Ausreichend Zeit für die Menge an Inhalten zur Verfügung stellen
Wer sich bei der Produktion von Content im Internet an diese Richtlinien hält, kann nicht nur seine Reichweite erhöhen, sondern zugleich ein Vorbild für barrierefreie Webgestaltung und digitale Inklusion sein. Außerdem machen Inhalte, die mit den Web Content Accessibility Guidelines aufbereitet wurden, das Erleben online nicht nur für Menschen mit Behinderung angenehmer, sondern für uns alle.
Die Expert:innen der Bertelsmann Stiftung haben digitale Barrierefreiheit in den Fokus genommen und den Digital Accessibility Consultant Taner Aydın damit beauftragt, wichtige Aspekte in einem gut verständlichen Leitfaden für zugänglichere digitale Angebote aufzubereiten.