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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Braucht Deutschland eine Verkehrswende ohne Autos?

Das Foto zeigt eine junge Frau bei Tageslicht auf der Straße, der Hintergrund ist unscharf, aber man erahnt eine Kreuzung mit einer grünen Ampel in der Ferne. Die Frau hält ein Smartphone in der rechten Hand, ihre linke Hand umgreift den Lenker eines E-Rollers, auf dem sie steht. Wellnhofer Designs – stock.adobe.com

Gehören Autos bald auf den Müllhaufen der Geschichte?

  • Wellnhofer Designs – stock.adobe.com
  • 23. November 2021

Don’t hectic, it’s electric: Sind Elektroautos wirklich so umweltfreundlich wie ihr Ruf? Was bringt das Tempolimit auf Autobahnen? Wie sehen die vernetzten Verkehrssysteme der Zukunft aus? Und was muss sich ändern, damit auch Orte auf dem Land besser an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden werden? change ordnet das Mobilitätswendechaos in deinem Kopf.

In Deutschland besitzen fast 83 Prozent der Haushalte ein eigenes Auto. Kein Wunder, dass unsere Straßen so verstopft sind, es jedes Jahr viele Unfalltote gibt und die Deutschen pro Kopf immer noch eine eher schlechte CO2-Bilanz haben. Eine Verkehrswende muss also auch in Deutschland dringend her. Nicht nur, um die CO2-Emissionen zu senken, sondern auch, um unsere Lebensqualität zu verbessern, Lärm zu reduzieren und den Raum, der in Städten und Kommunen heute von Autos überschwemmt ist, sinnvoller zu nutzen. Doch wie könnte diese Mobilitätswende aussehen? Was braucht es, damit sie gelingt? Und wie kann sie zeitnah von einem theoretischen Konzept in die Wirklichkeit umgesetzt werden?
 


Tempolimit: Was spricht eigentlich dagegen? (Spoiler: nichts.)

Deutschland, einig Autoland: Auf den Autobahnen hierzulande gibt es keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung, auf 70 Prozent der Kilometer kann man so schnell fahren, wie man will. Dabei ist inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Tempolimit. Denn die Raserei kostet nicht nur viele Menschenleben, sondern ist auch schlecht fürs Klima. Zwischen 1,9 und 5,4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr könnten eingespart werden, je nachdem, wie weit die Geschwindigkeit begrenzt werden würde. Ein Tempolimit würde auch das Unfallrisiko auf den Straßen deutlich senken und die Lärmbelastung für Siedlungen in Autobahnnähe reduzieren. Das könnte ein erster Schritt hin zu einer menschen-, natur- und klimafreundlicheren Mobilität sein. Doch derzeit sieht es so aus, dass auch unter der neuen Regierung kein Tempolimit kommt.
 

Eine Person hält einen beleuchteten Globus in den Händen

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Bereiten vernetzte Verkehrssysteme den Weg für die Mobilität von morgen?

Ein Mix aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Citybikes und Carsharing:  Verkehrsexpert:innen und Wissenschaftler:innen wünschen sich, dass die Deutschen in den nächsten Jahren vermehrt auf sogenannte vernetzte Verkehrssysteme umsteigen. Dazu können sie sich über eine App informieren, mit welchen Verkehrsmitteln sie am schnellsten ans Ziel kommen, also beispielsweise über eine Kombination aus Fahrrad und U-Bahn oder über Ridesharing-Systeme, also Gemeinschaftsfahrten.

Auf dem Land ist man ohne Auto aufgeschmissen

Damit diese Pläne für die Mehrheit der Deutschen funktionieren, müsste allerdings der öffentliche Nahverkehr deutlich ausgebaut werden, besonders in ländlichen Regionen. Eine Studie von ioki, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, hat kürzlich bewiesen, was allen längst klar war, die schon einmal für längere Zeit auf dem Land gelebt haben: In vielen deutschen Dörfern ist man ohne Auto buchstäblich abgehängt. Auf dem Land haben 55 Millionen Menschen in Deutschland keinen Zugang zu einem tauglichen Nahverkehrssystem, mit dem sie regelmäßig und ohne ewige Fahrten ihren Ort verlassen können. Es ist daher kaum verwunderlich, dass 68 Prozent der Pendler:innen hierzulande den Privatwagen nutzen und nur neun Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren.
 

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Sind Elektroautos das Fortbewegungsmittel der Zukunft?

Die Herstellung von Elektroautos boomt. Für einige sind sie die Fortbewegungsmittel der Zukunft, denn sie sind so gut wie komplett emissionsfrei. Allerdings trifft auch zu, dass sie in der Herstellung kaum umweltfreundlicher sind als Autos mit Verbrennungsmotoren. Bei der Herstellung der Akkus werden wertvolle Rohstoffe wie Lithium, Grafit oder Kobalt verwendet, die potenziell umweltschädlich sind und oft unter fragwürdigen Bedingungen gewonnen werden. Abgesehen von der problematischen Herstellung der Akkus verstopfen Elektroautos genau wie die herkömmlichen Fahrzeuge die Städte, verursachen Unfälle und Lärm.

Oder doch lieber synthetische Kraftstoffe?

Auf der Klimakonferenz in Glasgow hat der momentan noch geschäftsführende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die These vertreten, dass in naher Zukunft ohnehin alle Autos mit Verbrennungsmotoren mit synthetischem Kraftstoff, sogenannten E-Fuels, betrieben werden könnten. Deshalb hat er sich auch dagegen entschieden, ein Memorandum zu unterzeichnen, in dem 23 Staaten festgelegt haben, dass spätestens bis 2040 der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren untersagt werden soll. Doch die Entwicklung bei den synthetischen Kraftstoffen läuft eher schleppend.
 


Die Mischung macht’s: Weniger Autos, mehr ÖPNV, Räder und Roller

Was Klima und Gesundheit am meisten nutzen würde, wäre eine Mischung aus vernetzten Verkehrssystemen: Anstatt abgekapselt in unseren Privatautos die Städte zu verstopfen, könnten wir uns an Carsharing-Modellen beteiligen, uns mit weiträumig verfügbaren Citybikes oder E-Rollern fortbewegen und von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig und schnell ans Ziel bringen lassen. Die lästige Parkplatzsuche und teure Parktickets würden wir uns dabei auch noch sparen. Doch ohne den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wird das mit der Verkehrswende nichts. Hier ist die Politik gefragt, Lösungen zu präsentieren.

Nicht nur die die Verkehrswende stellt Kommunen vor große Herausforderungen, sondern auch der demografische Wandel und die Digitalisierung. Mit dem Projekt „Smart Country“ sucht die Bertelsmann Stiftung zusammen mit den Kommunen nach Lösungen, wie auch ländliche Regionen auf lange Sicht attraktiv bleiben können.