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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Darum ist das Fahrrad das Fortbewegungsmittel der Zukunft

Ein junger Mann läuft gemeinsam mit einer jungen Frau auf einem Weg. Beide schieben ihr Fahrrad.
Interview
dusanpetkovic1 - stock.adobe.com

Wie geht Fahrradfreundlichkeit, Ingwar Perowanowitsch?

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  • 19. April 2024

Was braucht es, damit die Verkehrswende in Deutschland gelingen kann? Darüber hat change mit Ingwar Perowanowitsch gesprochen, der sich für fahrradgerechtere Städte und ein Umdenken in Sachen Mobilität einsetzt.

Warum räumen wir dem Auto in unseren Städten immer noch so viel Platz ein, obwohl klar ist, dass die Mobilitätswende so nicht klappen kann? Das fragt sich auch der Politikwissenschaftler und Fahrradaktivist Ingwar Perowanowitsch. Im change Interview erklärt er, wie ein Umdenken in Sachen Mobilität stattfinden kann – und warum in seiner Vision das Fahrrad eine so große Rolle spielt.

Ingwar Perowanowitsch mit einem Fahrrad während er in die Kamera lächelt.

Ingwar Perowanowitsch …

… sieht das Fahrrad als das Fortbewegungsmittel der Zukunft. Der Politikwissenschaftler setzt sich politisch, aktivistisch und journalistisch für eine klimafreundliche und fahrradgerechtere Stadt ein.

Ingwar Perowanowitsch online:
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change | Hi Ingwar! Deutschland will bis 2045 auch im Verkehrssektor klimaneutral sein, denkst du, wir sind auf einem guten Weg dorthin?

Ingwar Perowanowitsch | Technisch wäre das durchaus möglich. Die Frage ist eher, ob der politische und gesellschaftliche Wille dafür ausreicht: Sind Politiker:innen und die Bevölkerung bereit, die Veränderungen mitzutragen, die es dafür braucht?

Wenn man sich die Nachrichtenlage anschaut, eher nicht.

Derzeit ist der Verkehrssektor das größte Sorgenkind der Energiewende: Wenn wir bis 2045 klimaneutral fahren wollen, brauchen wir radikale Reformen, angefangen beim Tempolimit auf Autobahnen bis hin zu Mitteln, mit denen die Kommunen endlich auch ihre Infrastruktur auf die Verkehrswende vorbereiten können. Nichts davon ist derzeit in Sicht.
 


Nicht wenige junge Menschen wachsen mit dem Traum vom eigenen Auto auf: Es ist immer noch ein Statussymbol und verheißt Freiheit – vor allem in ländlichen Regionen. Was müsste deiner Meinung passieren, dass sich das ändert?

Ganz wichtig finde ich, dass der öffentliche Nahverkehr gerade auf dem Land ausgebaut wird. Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen und kenne die Situation: Der Bus fährt unregelmäßig, die Radwege sind schlecht, und wenn man dann mit 18 den Führerschein macht, ist das eine echte Befreiung. Damit rekrutieren wir aber jedes Jahr Generationen neuer Autofahrer:innen. Ich sehe allerdings auch, dass das Auto als Statussymbol in den letzten Jahren immer mehr ausgedient hat. Früher war das ein milieuübergreifendes Phänomen, das heute eher vom Smartphone abgelöst wurde. Zu Recht, denn gerade in Städten bietet das Smartphone Mobilität auf Knopfdruck: So hat man jederzeit Zugriff auf Carsharing, Elektroroller oder Fahrräder.
 

„Meine Idealvorstellung von einer neuen Stadt und einer neuen Mobilität sind Orte, die nicht von Autos, sondern von Menschen dominiert werden.“

- Ingwar Perowanowitsch, Fahrradaktivist


Das stimmt, alternative Mobilitätsangebote gibt seit einigen Jahren immer mehr. Wenn man sich auf den Straßen umsieht, scheint die Vorherrschaft der Autos jedoch ungebrochen. Muss das so bleiben?

Dazu fällt mir ein Sprichwort ein: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Ich denke, es braucht vor allem Zeit und Geduld. Wer sich für eine fahrradfreundliche Stadt einsetzt, darf nicht nachlassen. Wir müssen immer wieder betonen, dass es auch anders geht, dass eine lebenswerte Stadt auch mit weniger Autos gut funktionieren kann. Momentan ist es doch so, dass in vielen Städten die Menschen vom Radfahren und damit vom CO2-Sparen abgehalten werden, weil die Infrastruktur für Fahrradfahrer:innen schlecht ausgebaut ist. Es ist teils einfach zu gefährlich, Rad zu fahren. Meine Hoffnung ist, dass einige Städte den Mut haben, voranzugehen, sich von der Masse der Autos zu befreien, und dass sich das in einer Art Dominoeffekt auf andere Städte ausbreitet. Ich hoffe, dass die Menschen merken, wie schön es ist, ohne Luftverschmutzung, ohne Verkehrslärm und mit viel mehr Sicherheit und Platz im öffentlichen Raum zu leben, weil nicht alles voller Autos ist.
 

Das Foto zeigt eine junge Frau bei Tageslicht auf der Straße, der Hintergrund ist unscharf, aber man erahnt eine Kreuzung mit einer grünen Ampel in der Ferne. Die Frau hält ein Smartphone in der rechten Hand, ihre linke Hand umgreift den Lenker eines E-Rollers, auf dem sie steht.

Gehören Autos bald auf den Müllhaufen der Geschichte?


Weltweit gibt es zahlreiche Beispiele für autofreie Städte, Ortschaften oder zumindest autofreie Zonen. Warum tun sich die Deutschen deiner Meinung nach so schwer damit? Ich denke dabei zum Beispiel an die Friedrichstraße in Berlin, die nur kurze Zeit autofrei blieb.

Deutschland hat sich als Nation lange Zeit über das Auto definiert und hat daraus Selbstbewusstsein geschöpft. Und auch realen Wohlstand über die Automobilindustrie gewonnen, die mitverantwortlich war für das Wirtschaftswunder und den Wohlstand für alle in Deutschland. Ich glaube, das hat sich sehr tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Das Beispiel Friedrichstraße zeigt meiner Meinung nach, dass es den Deutschen noch an Erfahrung fehlt, den öffentlichen Raum wirklich attraktiv autofrei umzugestalten. Ich persönlich fand die autofreie Friedrichstraße schön, aber sie bot auch viel Angriffsfläche für die Gegner:innen der Verkehrswende.
 

„Ganz wichtig finde ich, dass der öffentliche Nahverkehr gerade auf dem Land ausgebaut wird. Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen und kenne die Situation: Der Bus fährt unregelmäßig, die Radwege sind schlecht, und wenn man dann mit 18 den Führerschein macht, ist das eine echte Befreiung. Damit rekrutieren wir aber jedes Jahr Generationen neuer Autofahrer:innen.“

- Ingwar Perowanowitsch, Fahrradaktivist


Wie sieht für dich die ideale Mobilität in Städten aus? Es darf ruhig etwas utopisch sein.

Wir alle sehen, wie es derzeit ist: Der gesamte öffentliche Raum wird heute von Autos dominiert. Überall riecht, klingt und sieht es nach Autos aus. Meine Idealvorstellung einer neuen Stadt und einer neuen Mobilität sind Orte, die nicht von Autos, sondern von Menschen dominiert werden, wo man Menschen statt Motoren hört, wo Radfahren und Zufußgehen mehr in den Mittelpunkt der Mobilität rücken. Autos kann es noch geben, aber Elektroautos, die ständig in Bewegung sind, die geteilt werden und nicht wie heute 23 Stunden am Tag irgendwo herumstehen.

Was wären die Folgen?

Wenn ein Großteil der Flächen, die wir heute als Parkplätze nutzen, frei wird, haben wir plötzlich sehr viel Platz, den wir für Grünflächen nutzen können. Dann müssen die Menschen nicht mehr stundenlang aus der Stadt aufs Land fahren, um Natur zu erleben. Für mich ist die Stadt der Zukunft entschleunigt und an ein menschliches Tempo angepasst, damit auch schwere Verkehrsunfälle der Vergangenheit angehören.
 

Ana Stamenkova bei der Arbeit im Atelier

Vorgemacht: Mit Upcycling Kleidung und Textilien nachhaltig gestalten

 

Stichwort E-Autos: Sie verursachen zwar weniger Emissionen, sind allerdings in der Produktion alles andere als ressourcenschonend. Wie kann man den Menschen klarmachen, dass es mit dem Individualverkehr nicht ewig weitergehen wird wie bisher?

Ich glaube, dafür sind zwei Strategien wichtig: Zum einen die richtige Kommunikation und der Dialog darüber, dass weniger Autos tatsächlich ein Gewinn an Lebensqualität sind, egal welches Auto und egal welchen Antrieb es hat. Es ist einfach extrem ineffizient, wenn man für einen 70 Kilo schweren Menschen ein Gefährt braucht, das aus 1,5 bis 2 Tonnen Stahl, Blech und Aluminium besteht. Der zweite Punkt ist, dass man konsequent alternative Transportmittel und Strukturen entwickeln muss. Ich habe selbst in den Niederlanden studiert, wo die Infrastruktur für den Radverkehr sehr gut ist und viel mehr Menschen ihre täglichen Wege mit dem Rad zurücklegen als bei uns.

 


Du sagst, Kommunikation spielt eine wichtige Rolle bei der Verkehrswende, und machst auch selbst viel zum Thema auf Social Media. Gibt es Kampagnen oder Projekte, die dir dabei positiv aufgefallen sind?

Ich denke, Influencer:innen und die sozialen Medien generell spielen hier eine große Rolle, um gerade ein junges Publikum zu erreichen und davon zu überzeugen, wie wichtig die Verkehrswende ist. Mir fällt dabei der Künstler Jan Kamensky ein, der tolle utopische Videos von autofreien Städten macht. Generell gibt es in fast jeder Stadt in Deutschland Gruppen, die sich für die Verkehrswende einsetzen und in denen man aktiv werden kann, zum Beispiel die Initiative „Changing Cities“.

Zum Schluss eine Frage für Fahrradmuffel: Was ist das Tolle am Radfahren?

Radfahren war für mich schon immer ein Synonym für Freiheit und Selbstbestimmung. Das Fahrrad war das erste Verkehrsmittel, mit dem ich mich frei bewegen konnte. In meinen ersten Urlaub ohne Eltern bin ich mit dem Fahrrad gefahren. Auch wenn es mir schlecht geht, setze ich mich meistens aufs Rad und fühle mich danach gleich besser. Ich glaube, das Fahrrad ist ein wunderbares Sportgerät und ein Verkehrsmittel mit enormem Potenzial. Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie eigentlich lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren würden als mit dem Auto. Es fehlt nur an den entsprechenden Strukturen. Deshalb sollte man nicht mit dem Finger auf einzelne Personen zeigen und sagen, sie sollten mehr Rad fahren. Es braucht die Basis dafür, dass sich die Menschen sicher mit dem Fahrrad fortbewegen können, dann kommt es von ganz allein. Da bin ich mir sicher!

Vielen Dank für das Gespräch!

Klimaschutz + Mobilität = Zukunft! Mit den großen Fragen von morgen beschäftigt sich die Bertelsmann Stiftung schon heute, zum Beispiel im Podcast „Zukunft der Nachhaltigkeit“: Hier kommen regelmäßig Expert:innen aus den Bereichen Klima- und Umweltschutz zu Wort. Jetzt reinhören!