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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Die positive Wirkung von konstruktivem Journalismus

Zwei junge Frauen stehen auf einem Platz und lächeln sich an.
Interview
Drobot Dean - stock.adobe.com

Mehr als Schlagzeilen: Die positive Wirkung von konstruktivem Journalismus

  • Drobot Dean - stock.adobe.com
  • 6. März 2024

Wer in den Medien nach konstruktivem Journalismus sucht, wird fündig – doch wir klicken eher auf negative Schlagzeilen als auf gute Nachrichten. Warum das so ist, hat change Malva Sucker, Vice President Corporate Brand Management bei der Bertelsmann Stiftung, und den Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger gefragt.

Gute Nachrichten beeinflussen nicht nur unsere Stimmung positiv, sondern machen ganze Gesellschaften hoffnungsvoller, wie aktuelle Studien zeigen. Doch die meisten Menschen reagieren eher auf Clickbait und Sensationsjournalismus als auf konstruktive Berichterstattung. Im Gespräch mit Malva Sucker und Uwe Krüger gehen wir diesem Phänomen auf den Grund.

Portrait von Dr. Malva Sucker vor weißer Wand. Rechts: Portrait von Dr. Uwe Krüger

Dr. Malva Sucker hat Geschichts- und Rechtswissenschaften studiert und an der Universität Konstanz promoviert. Heute ist sie Vice President Corporate Brand Management bei der Bertelsmann Stiftung und Chefredakteurin des Magazins change der Bertelsmann Stiftung.

Dr. Uwe Krüger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsbereich Journalismus des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft und Forschungskoordinator des Zentrums Journalismus und Demokratie (JoDem) der Universität Leipzig. Mit seinem Team forscht er unter anderem zur Wirkung von konstruktivem Journalismus. Für seine Bücher „Mainstream - Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ und „Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ wurde er 2016 mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik der Initiative Nachrichtenaufklärung ausgezeichnet.


change | Eine wichtige Frage am Anfang: Sind die Medien wirklich so sensationsgetrieben, wie es scheint oder sind wir eigentlich selbst die Sensationsgetriebenen?

Dr. Malva Sucker | Das bedingt sich ganz klar gegenseitig und das kann man ganz einfach feststellen, indem man sein eigenes Verhalten reflektiert: Ist ein mehrseitiger Artikel über eine Ministerin oder einen Minister, die ihren oder der seinen Job gut macht spannender oder doch eher der investigative Artikel, in dem Journalist:innen Korruption und Kriminalität aufdecken? Die Mehrheit würde sich wohl für letzteren entscheiden.

Dr. Uwe Krüger | Es gibt natürlich verschiedene Medien mit verschiedenen Sensationalismus-Graden: Die Boulevard-Zeitung, die sich am Kiosk verkaufen muss, arbeitet nach einer anderen Logik als die Tagesschau-Redaktion – obwohl auch die sich durch Reichweite legitimieren muss. Einige Medien, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, bedienen einerseits vorhandene Nachfrage, um Aufmerksamkeit und Einnahmen zu generieren – andererseits konditionieren sie auch die Nutzer:innen und lassen sie teilweise abstumpfen.
 

Party Face Emoji

Seit 2017 ist das change Magazin der Bertelsmann Stiftung ein Kompass für konstruktiven gesellschaftlichen Wandel und das mit Erfolg: Der Annual Multimedia Award 2024 zeichnete change für diese Arbeit mit einer Silbermedaille in der Kategorie „Content Marketing & Storytelling“ aus.


Warum erreicht Clickbaiting oft mehr Aufmerksamkeit?

Dr. Uwe Krüger | Erwiesenermaßen verbreiten sich Geschichten am besten, die bei den Menschen starke Emotionen auslösen – im positiven wie im negativen Sinne. Die größte „Shareability“ im digitalen Zeitalter hat „stuff that makes you laugh and stuff that makes you angry“ ­– wie es Janine Gibson, Chefin von BuzzFeed UK, einmal formulierte. Wir sind eben doch nicht so rational und gehirngesteuert, wie wir glauben wollen.

Dr. Malva Sucker | Wahrscheinlich muss man dafür tief in die menschliche Psyche eindringen. Aus der Forschung wissen wir, dass unser Gehirn auf beängstigende, bedrohliche oder negative Dinge stärker reagiert als auf positive Reize: ein Überlebensmechanismus. Moderne Medien machen sich diese Reize zunutze, um Klicks zu generieren.
 

Zwei Hände mit je einer abbrennenden Wunderkerze vor einem abendlichen Hintergrund.

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Dr. Uwe Krüger, Sie haben mit Ihrem Team an der Universität Leipzig kürzlich eine Studie zur Wirkung von konstruktivem Journalismus durchgeführt. Können Sie uns mehr darüber erzählen? Worum geht es und gibt es bereits erste Erkenntnisse?

Dr. Uwe Krüger | Wir haben die Abonnent:innen von drei konstruktiven Medien in Deutschland, nämlich „Good Impact“, „Perspective Daily“ und „taz FUTURZWEI“, befragt, um herauszufinden, wie sie diese Medien nutzen, bewerten und welche Wirkungen die Lektüre hat. Genauer gesagt wollten wir wissen, ob es „prägende Medienerlebnisse“ durch konstruktiven Journalismus gibt und wie diese aussehen. Es zeigte sich, dass es eine starke Leser:innen-Blatt-Bindung gibt und dass viele Abonnent:innen Veränderungen ihres Lebensstils und ein erhöhtes gesellschaftliches Engagement auf den Konsum dieser Medien zurückführen: Motiviert durch konstruktive Berichterstattung essen sie zum Beispiel weniger Fleisch, haben ihr Auto abgeschafft, nehmen an Demonstrationen teil oder spenden an gemeinnützige Organisationen.

„Erwiesenermaßen verbreiten sich Geschichten am besten, die bei den Menschen starke Emotionen auslösen - im positiven wie im negativen Sinne.“

– Dr. Uwe Krüger, Kommunikationsforscher


Wie beeinflusst konstruktiver Journalismus die Leser:innen im Vergleich zu klassischen Nachrichten? Gibt es einen messbaren Unterschied im Denken und Handeln der Menschen?

Dr. Malva Sucker | Ich bin überzeugt, dass konstruktiver Journalismus einen Mehrwert bieten kann. Eine Ergänzung zum konventionellen oder traditionellen Journalismus. Denn unsere Welt ist in den meisten Fällen eben nicht schwarz-weiß und auch nicht nur düster und hoffnungslos.

Dr. Uwe Krüger | Als gesichert gilt, dass konstruktive Berichterstattung positive Emotionen auslöst und negative abschwächt. Etwa die Hälfte der Studien zum Thema zeigt außerdem eine erhöhte Bereitschaft zum Handeln, die aus dem Konsum konstruktiver Berichterstattung resultiert. Unsere eigene Forschung deutet außerdem darauf hin, dass man auch längerfristige und gesellschaftliche Wirkungen beobachten kann.
 

Eine Frau scrollt durch Social-Media-Feeds.

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Inwiefern fördert konstruktiver Journalismus die Partizipation der Leser:innen oder Zuschauer:innen? Beeinflusst er ihr Engagement für gesellschaftliche Themen? Oder führt er eher dazu, dass die Menschen sich zurücklehnen?

Dr. Malva Sucker | Konstruktiver Journalismus bedeutet nicht, Sachverhalte „schönzuschreiben“. Es geht darum, Lösungen aufzuzeigen, neue Perspektiven zu bieten, den Blick zu weiten. Ich denke, das motiviert die Leser:innen sicherlich eher zu gesellschaftlichem Engagement.

Dr. Uwe Krüger | Genau das würde ich auch sagen. Theoretisch ist zwar ein „Appeasement“-Effekt denkbar, also dass die Nutzer:innen beruhigt sind, weil andere sich bereits um das Problem kümmern. Empirisch zeigt sich aber, dass Menschen aktiviert werden, weil ihnen Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, wo vorher nur Alternativlosigkeit sichtbar war.

„Ich bin überzeugt, dass konstruktiver Journalismus einen Mehrwert bieten kann. Eine Ergänzung zum konventionellen oder traditionellen Journalismus. Denn unsere Welt ist in den meisten Fällen eben nicht schwarz-weiß und auch nicht nur düster und hoffnungslos.“

– Dr. Malva Sucker, Chefredakteurin change


Glauben die Menschen, dass konstruktiver Journalismus eine objektivere und ausgewogenere Berichterstattung ermöglicht? Wie beurteilen sie die Glaubwürdigkeit solcher Nachrichten im Vergleich zu Medien, die keinen konstruktiven Ansatz verfolgen?

Dr. Uwe Krüger | Die von uns befragten Abonnent:innen sind mit der Qualität der Berichterstattung meist sehr zufrieden. Das Vertrauen ist hoch bis sehr hoch. Es sind aber auch bestimmte Milieus, die diese Medien abonnieren: überwiegend großstädtisch, akademisch gebildet und politisch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überproportional den Grünen zugeneigt. Ich schätze, dass liberal-konservative oder AfD-Wähler:innen dieselben Inhalte ganz anders beurteilen würden.
 

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Welche Strategien verfolgen Medienhäuser, um konstruktiven Journalismus zu fördern und gleichzeitig ihr Publikum zu halten? Gibt es Herausforderungen bei der Umsetzung dieses Ansatzes?

Dr. Malva Sucker | In der deutschsprachigen Medienwelt hat sich in den letzten Jahren ein immer größeres Angebot an Inhalten mit konstruktivem journalistischem Ansatz etabliert – vor allem in den sozialen Medien. Unter anderem haben ZEIT ONLINE, der Tagesspiegel oder das ZDF mittlerweile eine eigene Rubrik für gute und konstruktive Nachrichten. Was mir auch auffällt: In den Nachrichtensendungen wird immer mehr versucht, mit einer guten Nachricht abzuschließen. Aber bisher beschränkt sich das Angebot auf einzelne Beiträge und es ist selten eine Gesamtstrategie zu erkennen. Das hat sicherlich etwas mit dem Selbstverständnis von Journalismus zu tun, aber eben auch mit uns, die wir Clickbaiting immer noch mit Klicks belohnen.

Wie beeinflusst die Art der Berichterstattung die Reaktionen der Menschen auf soziale Probleme oder politische Themen? Kann konstruktiver Journalismus dazu beitragen, Lösungen zu finden?

Dr. Malva Sucker | Da gibt es sicher Zusammenhänge. Ich denke da beispielsweise an das stark öffentlich diskutierte Thema Migration, das Spaltungspotenzial hat: Hier können Medien gesellschaftlichen Zusammenhalt auch unterstützen, indem sie konstruktiv berichten, das heißt eben Herausforderungen, aber auch Chancen benennen.
 


Wie können Medien sicherstellen, dass konstruktiver Journalismus nicht als reine PR oder Schönfärberei“ angesehen wird, sondern als wertvolles journalistisches Werkzeug?

Dr. Uwe Krüger | Das ist in der Tat eine Gefahr – und es gibt Ansätze, Qualitätskriterien für konstruktiven Journalismus zu definieren, um genau das zu verhindern. Laut dem „Solutions Journalism Network“ in New York muss ein Beitrag zum Beispiel Detailinformationen zur Umsetzung des beschriebenen Lösungsansatzes sowie Wirkungen und Limitationen des Lösungsansatzes aufzeigen. So wird sichergestellt, dass es sich um empirisch fundierten Journalismus und nicht um einen Werbespot handelt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, verschiedene Lösungsansätze für ein Problem zu beschreiben und deren Wirkungen zu vergleichen – auch das entfernt einen journalistischen Beitrag zwangsläufig von PR und Werbung.

Kann ein konstruktiver journalistischer Ansatz ein Mittel sein, um den Rechtsruck in Deutschland zu stoppen?

Dr. Malva Sucker | Meiner Meinung nach können eine Hinwendung und ein Bewusstsein für die Kraft des konstruktiven Journalismus Veränderungen bewirken, aber das braucht Zeit und der Wille muss da sein. Konstruktiver Journalismus hat mehr verbindende und aufbauende Ansätze als trennende und zerstörerische. Gesellschaftliche Phänomene wie die Entwicklung zum Radikalismus werden durch konstruktive Ansätze zumindest nicht verstärkt.

Dr. Uwe Krüger | Das sehe ich genauso. Konstruktiver Journalismus bedeutet nicht nur Lösungsgeschichten, sondern auch Multiperspektivität, Dialog und Entpolarisierung. Für so etwas ist es aktuell höchste Zeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das change Magazin der Bertelsmann Stiftung verfolgt die Mission, Teilhabe in einer immer komplexer werdenden Welt zu ermöglichen. Die Projekte der Bertelsmann Stiftung zielen darauf ab, Erkenntnisse zu gewinnen, die Problemlösungen aufzeigen.