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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

„Sprichst du Walisch?“ ist bald keine rhetorische Frage mehr

Eine Pottwal-Schule taucht ab. Stanislav - stock.adobe.com

Tiersprache entschlüsseln: Sprichst du Walisch?

  • Stanislav - stock.adobe.com
  • 20. August 2021

Die riesigen Pottwale mit ihren zehn Kilo schweren Gehirnen könnten die ersten Wesen sein, mit denen die Menschen außerhalb ihrer eigenen Spezies kommunizieren werden. Forscher:innen arbeiten gerade daran, Pottwalisch mithilfe von künstlicher Intelligenz zu entschlüsseln. change erklärt, wie sie dabei vorgehen und warum sie das Projekt gestartet haben.

Mit Tieren kommunizieren – das probieren wir Menschen wahrscheinlich schon, seit es uns gibt. Mit einigen Tierarten funktioniert das in gewisser Weise. Mit Pferden oder Hunden können wir uns beispielsweise über bestimmte Signale rudimentär verständigen. Was wirklich in Tieren vorgeht, ist allerdings ungewiss. Gibt es Arten, die eine Sprache besitzen, die unserem Verständnis davon entspricht? Die also einem semantischen und grammatikalischen Schema folgt, deren Laute eine festgelegte Bedeutung haben und in einer bestimmten Struktur im Verhältnis zueinander stehen?

KI-Projekt CETI will Tiersprache der Pottwale entschlüsseln

Das KI-Forschungsprojekt CETI eröffnet zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Möglichkeit, eine Tiersprache zu entschlüsseln, nämlich die der Pottwale. Pottwale verständigen sich untereinander über Klicklaute, die entfernt an Morsezeichen erinnern und einem festen Code zu folgen scheinen. Forscher:innen haben außerdem herausgefunden, dass Pottwal-Familien in Dialekten kommunizieren, die von Familie zu Familie verschieden sind. CETI will versuchen, diese Pottwal-Sprache mithilfe künstlicher Intelligenz zu lernen.
 


Wie funktioniert die Entschlüsselung der Pottwal-Sprache?

Die KI für die Entschlüsselung der Pottwal-Sprache wurde von Biolog:innen, Roboter-Spezialist:innen, Sprachwissenschaftler:innen und Informatiker:innen gemeinsam entwickelt und funktioniert über sogenannte „Sprachmodelle“. Das sind KIs, die darauf spezialisiert sind, Sprachstrukturen zu erkennen, wenn man sie mit genügend Textmaterial füttert. Damit die Sprachmodelle die Regeln und Strukturen einer Sprache zuverlässig erkennen können, sodass man anschließend in ihr kommunizieren kann, müssen sie allerdings mit enormen Datenmengen dieser Sprache gefüttert werden. Selbst dann produzieren sie nur Sätze, die „richtig klingen“, ohne zu wissen, was sie bedeuten.
 

Wassertropfen formen bunte Farben und Muster auf einer Fensterscheibe

Kann künstliche Intelligenz kreativ sein?


Codes zu entschlüsseln, bedeutet noch nicht, etwas zu verstehen

Mittels KI könnten also die Codes der Pottwal-Sprache entschlüsselt werden. Um wirklich zu verstehen, was die Pottwale zueinander sagen, braucht es allerdings noch viel mehr: Die Forscher:innen müssen genau beobachten, was die Pottwale tun, wenn sie bestimmte Laute ausstoßen, um die Sprache in einen Kontext zu bringen. Darüber hinaus verwenden die Pottwale ihre Klicks nicht nur, um miteinander zu kommunizieren, sondern auch, um über Echo potenzielle Beute ausfindig zu machen und sich im Meer zu orientieren.

Geräusche, so laut wie ein Raketenstart

Die Klicklaute, die Pottwale ausstoßen, sind extrem laut: Sie können bis zu 230 Dezibel erreichen, das ist lauter als der Start einer Saturn-V-Rakete. Diese Laute fangen Pottwale mit ihrem riesigen Kopf (er macht ein Drittel der Körperlänge der Wale aus) wieder auf – wie ein Klicksonar. Da die Klicklaute also nicht nur einem bestimmten Zweck dienen, ist die Entschlüsselung ihrer Bedeutung ein hochkomplexes Vorhaben, das gerade noch ganz am Anfang steht.
 

Korallen im australischen Great Barrier Reef: Wird die Klimaerwärmung nicht gestoppt, wird es das Riff in einigen Jahrzehnten wahrscheinlich nicht mehr geben. Mit ihm wird eine Vielzahl an Meerestieren und Pflanzen verschwinden.


Besseres Verständnis könnte Artenvielfalt bewahren

Bis das Forschungsprojekt CETI an einen Punkt gelangt, an dem wir uns über KI tatsächlich mit den Walen verständigen können, wird es wahrscheinlich noch etwas dauern – wenn es überhaupt jemals gelingt. Die beteiligten Forscher:innen erhoffen sich durch CETI jedenfalls vor allem eines: dass Menschen ein besseres Verständnis für andere Lebewesen bekommen und damit deren Lebensräume mehr respektieren und schützen, anstatt sie auszubeuten. Nur so kann die Artenvielfalt auf der Erde erhalten bleiben, und die Pottwale, die bereits jetzt als gefährdete Spezies gelten, könnten vor dem Ausstreben bewahrt werden.

Künstliche Intelligenz, die dabei hilft, die Artenvielfalt auf der Erde zu schützen – eine tolle Sache. Und es gibt noch viele andere sinnvolle Anwendungsgebiete. Mit dem Projekt „Ethik der Algorithmen“ setzt sich die Bertelsmann Stiftung für eine Gestaltung algorithmischer Systeme ein, die gesellschaftliche Probleme löst und das Gemeinwohl fördert.