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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Tenor Spencer Britten erzählt, wie die Opernwelt wirklich läuft

Spencer Britten vor einer Bergkulisse in Kanada
N E U
Amanda Palmer

Tenor Spencer Britten über Oper, Identität und Selbsterkenntnis

  • Amanda Palmer
  • 5. Juni 2025

Wie lebt es sich als professioneller Opernsänger? Weniger glamourös als viele denken, sagt der kanadische Tenor Spencer Britten. Im change-Interview erzählt er, was Selbsterkenntnis mit seinem Beruf zu tun hat und warum er die Opernwelt für die Allgemeinheit zugänglicher machen will.

Ist die Opernwelt zu elitär und altmodisch? Zum Teil schon, findet Spencer Britten. Dabei seien viele der Themen, die in Opern behandelt werden, noch immer hochaktuell, man müsse sie nur richtig erzählen. Um sie einem breiteren Publikum greifbar zu machen, hat der Tenor in Zusammenarbeit mit der Staatsoper Unter den Linden die YouTube-Serie Opera in a Nutshell entwickelt, die er später auch mit der Vancouver Opera weitergeführt hat. Mehr über sein Leben und die Welt der Oper erzählt Spencer Britten im Interview.

Spencer Britten im Porträt

Spencer Britten …

… ist ein chinesisch-kanadischer Tenor. Im Laufe seiner Karriere hatte er unter anderem Engagements an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, an der Lyric Opera of Chicago, an der Ungarischen Staatsoper und der Königlichen Oper Versailles in Frankreich. 2019 nahm Britten auch am „Neue Stimmen“-Wettbewerb der Liz Mohn Stiftung teil.

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change | Hallo Spencer, wie bist du Opernsänger geworden?

Spencer Britten | Als Kind war ich im Chor und habe in einem Musiktheater getanzt. Ich hatte eine Gesangslehrerin, die bemerkte, dass ich eine natürliche Begabung für klassische Musik hatte. Sie überredete mich dazu, mich mit einigen Kunstliedern als Übungsmaterial auf das Vorsingen an der Universität vorzubereiten. So wurde ich an der University of British Columbia angenommen und studierte dort dann klassischen Gesang. Je mehr ich über die Oper lerne, desto mehr verliebte ich mich in sie. Das ist immer noch so.

Welche Rolle hat Oper in deiner Familie gespielt?

Klassische Musik hat bei uns immer eine Rolle gespielt, aber eher im übertragenen Sinn. Wir haben zum Beispiel viel The Three Tenors oder Andrea Bocelli gehört.
 

Viele Menschen denken, dass Opernsänger:innen ein total elitäres oder glamouröses Leben führen. In Wirklichkeit sind wir einfach Menschen, die ihren Beruf ausüben, wie alle anderen auch – nur dass unser Beruf eben das Singen ist.

- Spencer Britten


Du bist auch entfernt mit dem britischen Komponisten Benjamin Britten verwandt. Hat dich diese Beziehung beeinflusst?

Ich erinnere mich, dass mein Großvater, als ich noch sehr jung war, einen Zeitungsartikel über Benjamin Britten las und die ungewöhnliche Schreibweise seines Nachnamens bemerkte. Er suchte im Stammbaum der Familie und fand ihn. Wir wussten bis dahin nichts von der Verwandtschaft.

Hast du selbst schon etwas von Benjamin Britten gesungen?

Ich bin schon in einigen seiner Stücke aufgetreten. Eines meiner Lieblingsstücke ist Ein Sommernachtstraum, den Lysander habe ich schon ein paar Mal gesungen. Im Moment bereite ich einen von Brittens Canticles für ein Konzert in Toronto vor. Ich habe auch in Turn of the Screw gesungen, einer sehr guten, sehr gruseligen Oper, die es verdient, öfter aufgeführt zu werden!
 


Wie sieht ein typischer Tag in deinem Leben als Opernsänger aus?

Ich singe definitiv mehr als die meisten Leute! Aber meine Lieblingsorte zum Üben sind ganz klassisch: im Auto und unter der Dusche. Diese geschlossenen Räume geben einem Freiheit und eine tolle Akustik. Ansonsten gehe ich viel ins Fitnessstudio, mache Yoga, liebe gutes Essen und treffe mich mit Freund:innen. Viele Menschen denken, dass Opernsänger:innen ein elitäres oder total glamouröses Leben führen. In Wirklichkeit sind wir einfach Menschen, die ihren Beruf ausüben, wie jeder andere auch – nur dass unser Beruf eben das Singen ist.
 

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Die darstellenden Künste können sehr fordernd sein. Was tust du, um dich zu entspannen und mental gesund zu bleiben?

In den letzten Jahren habe ich gelernt, dass es wichtig ist, zu wissen, wer man außerhalb seiner Kunst ist. Selbsterkenntnis verbessert nicht nur das eigene Wohlbefinden, sondern auch die künstlerische Arbeit. Super entspannen kann ich mich beim Lesen, vor allem griechische Mythologie mag ich sehr. Für mich war es auch wichtig zu lernen, mal nichts zu tun. Wenn ich das Bedürfnis habe, gehe ich zur Therapie. Ich habe kürzlich ein tolles Interview mit Julie Andrews gelesen, in dem sie sagte, dass die Unterhaltungsindustrie brutal sein kann und dass eine Therapie die nötige Klarheit bringen kann, um auf dem Boden zu bleiben.

Was ist dein Lieblingsbuch?

Das Lied des Achill von Madeline Miller. Dieses Buch hat mich im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Die Geschichte ist wunderschön und bewegend geschrieben. Es ist eine epische queere Liebesgeschichte, die sich nicht um Scham oder Tragödie dreht, was in der queeren Literatur selten ist.

Ich lese hauptsächlich queere Literatur. Kürzlich habe ich mit einer Freundin darüber gesprochen, warum mir queere Literatur so wichtig ist, und sie hat es so schön ausgedrückt, als sie sagte: „Das liegt daran, dass du endlich in einen Spiegel schaust und nicht mehr durch ein Fenster.“ Das hat mich tief berührt. Diese Geschichten zu lesen und aufzuführen, ist wirklich kathartisch für mich und ich fühle mich privilegiert, das tun zu können!

Hast du schon jemals an deiner Entscheidung gezweifelt, ein professioneller Sänger geworden zu sein?

Ich zweifle ständig, denn der Lebensstil ist unglaublich unbeständig. Es ist schwer, sich etwas aufzubauen oder eine Familie zu gründen, wenn man ständig unterwegs ist. Der Job erfordert so viel von deiner Zeit und Energie. In der Opernbranche herrscht dieser Glaube, dass man entweder zu 100 Prozent Sänger:in ist oder gar nicht. Das stimmt so aber nicht mehr. Viele Leute machen nebenbei noch andere Sachen oder arbeiten weniger, um sich auf die Familie konzentrieren zu können. Das macht sie nicht weniger zu Künstler:innen – im Gegenteil, es bereichert oft sogar ihre Arbeit.

Hast du selbst auch einen Nebenberuf?

Ich mache viel Social Media Marketing, das sieht man auch auf Instagram und YouTube. Ich versuche, klassische Musik zugänglich zu machen. Manchmal arbeite ich auch im Einzelhandel, gebe Gesangsunterricht oder mache ab und zu Karriereberatung.
 

In der Oper geht es eigentlich nur um große Gefühle, die vertont werden. Man muss nicht Musik studiert haben, um sich davon berühren zu lassen, denn Musik ist eine universelle Sprache.

- Spencer Britten


Du warst Teil des „Neue Stimmen“-Wettbewerbs der Liz Mohn Stiftung. Wie war deine Zeit in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden?

Ich bin im Sommer 2020 nach Berlin gezogen, mitten in der Pandemie, das war schon verrückt! Aber es war eine unglaubliche Zeit. Ich konnte mit der Staatsoper Unter den Linden arbeiten und Rollen wie den Janek in Leoš Janáčeks Die Sache Makropulos unter Sir Simon Rattle spielen. Mit Dirigenten wie ihm und Antonio Pappano zu arbeiten, war unglaublich. Nicht nur, weil sie brillant sind, sondern auch, weil sie unglaublich nett sind. Diese Zeit hat mir wirklich geholfen, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.
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Spencer Britten in der Oper Chinatown, seiner bisher persönlichsten Rolle.


Was war deine Lieblingsrolle bisher?

Eine meiner Lieblingsrollen hatte ich in der modernen Oper Chinatown, darin geht es um chinesische Einwander:innen in Vancouver. Sie war in dem chinesischen Dialekt geschrieben, den meine Familie spricht, das war sehr persönlich. In Chinatown werden chinesische Instrumente mit einem westlichen Orchester kombiniert – die perfekte Mischung. Was die eher traditionellen Rollen angeht, habe ich sehr gerne den Orpheus gesungen.  Außerdem werde ich in der nächsten Saison den Tonio in La fille du regiment an der Boston Lyric Opera singen, darauf freue ich mich sehr. Ich liebe die hohen Cs!

Hast du noch andere Traumrollen, abgesehen von La fille du regiment?

Ich würde sehr gerne in einer Rolle auftreten, die speziell für mich geschrieben wurde. Außerdem würde ich gerne die Musetta in La Bohème singen, das wäre toll!
 

Luisa Wöllisch, eine Frau mit langen braunen Haaren und einem grauen Lederjackett, lehnt sich entspannt an eine Löwenstatue. Im Hintergrund sieht man einen ruhigen See und eine bewaldete Uferlinie. Luisa lächelt und wirkt glücklich.

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Die Oper hat immer noch einen etwas elitären und altmodischen Ruf. Denkst du, das ändert sich langsam? 

Stimmt, das kann sich definitiv so anfühlen. Aber es gibt durchaus Bemühungen, das zu ändern. Aus meiner Sicht muss man sich immer fragen: Warum erzählen wir diese Geschichte genau jetzt? Manchmal werden Opern nur aufgeführt, weil sie zum Kanon gehören. Das sollte sich ändern. Modernisieren um des Modernisierens willen ist nicht genug, man muss die Oper auch relevant machen. Wenn sie gut durchdacht ist, kann eine Oper frisch, aufregend und von großer Bedeutung sein.

Was würdest du jemandem raten, die oder der sich gerne mehr mit der Oper auseinandersetzen würde, aber nicht genau weiß, wo sie oder er anfangen soll?

Ich würde sagen, lass dich nicht von der Formalität des Ganzen einschüchtern. Konzentriere dich auf dein Gefühl, schau dir eine Szene auf YouTube an, auch wenn du die Sprache nicht verstehst, und achte einfach darauf, was du dabei empfindest. In der Oper geht es eigentlich nur um große Gefühle, die vertont werden. Man muss nicht Musik studiert haben, um sich davon berühren zu lassen, denn Musik ist eine universelle Sprache. Wenn das Stück gut gemacht ist, wirst du die Geschichte und die Emotionen aus der Aufführung selbst herausziehen. Live-Aufführungen sind dafür am besten geeignet. Das ist etwas ganz anderes als eine Aufnahme, man spürt den Klang mit dem Körper, eine unglaubliche Erfahrung!

Danke für das Gespräch, Spencer!

Zur Förderung von jungen Gesangstalenten aus der Opernwelt richtet die Liz Mohn Stiftung jährlich den Wettbewerb „Neue Stimmen“ aus. Durch den Wettbewerb und die zugehörigen Meisterklassen werden die Karrieren der Teilnehmenden nachhaltig gefördert.