
Mehr Miteinander: Wie steht es um unsere Empathiefähigkeit?
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- 18. Juli 2025
Übermäßige Isolation tut uns Menschen nicht gut – und doch fühlen sich immer mehr von uns einsam. Das wirkt sich auf unser Verhältnis zueinander aus, beispielsweise auf unser Einfühlungsvermögen. Warum Empathie so wichtig für eine funktionierende Gesellschaft ist und wie du sie stärken kannst, erfährst du im folgenden Text.
Empathie und Einfühlungsvermögen sind für das zwischenmenschliche Zusammenleben unverzichtbar. Dadurch können wir Kontakt mit anderen aufnehmen, Beziehungen führen, zusammenleben und zusammenarbeiten sowie Kompromisse finden, ohne uns bei jeder Meinungsverschiedenheit gleich die Köpfe einzuschlagen. Empathie garantiert somit nicht nur ein friedliches Zusammenleben, sondern auch unser Überleben, denn Menschen sind Herdentiere, die seit jeher darauf angewiesen sind, sich in Gruppen zusammenzutun.
Bereits Kleinkinder empfinden Mitgefühl mit anderen
Wie wichtig Empathie für unsere Beziehungen zu anderen Menschen ist, zeigt sich schon bei den Kleinsten. Eine Studie der Universität München ergab, dass schon Kleinkinder im Alter von 18 Monaten Mitgefühl mit anderen Menschen empfinden. Dabei wurde festgestellt: Je feinfühliger die Mütter auf die Bedürfnisse der Kinder eingingen, desto empathischer waren diese auch im Umgang mit anderen. Empathie kann also durch Nachahmung erlernt werden. Doch was passiert mit einer Gesellschaft, deren Empathiefähigkeit abnimmt?
Kurz erklärt: Die vier Arten der Empathie
1. Emotionale Empathie
Auch Mitfühlen genannt. Wir spüren intuitiv, was andere empfinden, sei es Freude, Schmerz oder Angst. Diese Form des Mitgefühls ist zwar echt, kann aber emotional herausfordernd sein.
2. Kognitive Empathie
Das Verstehen der Gedanken und Gefühle anderer, ohne sie selbst zu erleben. Diese Fähigkeit ist zentral für den Perspektivwechsel, für Verhandlungen und besonders wichtig für Führungspersonen.
3. Soziale Empathie
Diese Form der Empathie geht über den Einzelnen hinaus. Sie beschreibt das Verständnis für die Lebensumstände sozialer Gruppen, beispielsweise bei Armut, Diskriminierung oder Flucht. Soziale Empathie fördert das gesellschaftliche Miteinander und ist die Basis für faire und inklusive Strukturen.
4. Selektive Empathie
Menschen zeigen oft große Empathie gegenüber Nahestehenden, also ihrer Familie, ihren Freund:innen und ihren Haustieren. Doch gegenüber Fremden oder Gruppen mit anderen Meinungen kann diese schnell schwinden. Dieser Effekt wird auch als selektive Empathie bezeichnet.
Empathiefähigkeit auf dem Rückzug
Bereits 2010 hat eine Studie der Universität Michigan unter Studierenden ergeben, dass die Teilnehmenden zum damaligen Zeitpunkt ganze 40 Prozent weniger einfühlsam waren als Studierende in den Siebzigerjahren. Die Gründe für die zurückgehende Empathie wurden im Zuge der Studie nicht untersucht. Die Forschenden mutmaßten jedoch, dass dies mit der zunehmenden Informationsflut, der Individualisierung und dem großen Leistungsdruck zusammenhängt, denen Menschen in den letzten Jahren zunehmend ausgesetzt sind.
Menschen sind so einsam wie noch nie
Diese Trends, die sich bereits 2010 abzeichneten, haben sich bis heute deutlich verstärkt: Einerseits sind wir durch Social Media, Smartphone und Co. permanent erreichbar, andererseits fühlen sich heute mehr Menschen einsam als je zuvor. Das zeigt auch eine Studie der Bertelsmann Stiftung: In der repräsentativen Umfrage wurden 2.532 Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren befragt, von denen ganze 46 Prozent angaben, sich einsam zu fühlen. Soziale Strukturen wie Großfamilien, nachbarschaftliche Verbindungen, Vereine und Jugendverbände lösen sich mehr und mehr auf. Die Menschen haben das Gefühl, zunehmend auf sich allein gestellt zu sein.
Empathie im Netz? Oft Fehlanzeige!
Gleichzeitig wird der Ton in den sozialen Medien immer rauer. Während Hasskommentare im analogen Leben eher selten sind, sind sie im Netz an der Tagesordnung. Viele Menschen scheinen zu vergessen, dass sie es auch online mit anderen Menschen zu tun haben, oder sie fühlen sich durch ihre Bildschirme vermeintlich geschützt. Empathie, Mitgefühl und ein freundlicher Ton sind hier oft Fehlanzeige. Auch rechte Gruppen hetzen gegen Empathie und versuchen diejenigen, die nicht in ihr Weltbild passen, zu entmenschlichen.
Darum sinkt die Hemmschwelle online so schnell
Führt die digitale Kommunikation also dazu, dass wir das gute Miteinander verlernen? Wenn wir direkt mit jemandem sprechen und etwas Verletzendes sagen, erkennen wir das in der Regel an der Reaktion unseres Gegenübers. Mimik, Tonfall und Körpersprache verraten viel darüber, wie es unserem Gegenüber geht und wie Dinge aufgenommen werden. Haben wir die andere Person mit einer Aussage verletzt, können wir uns als empathische Menschen im besten Fall vornehmen, das Thema in Zukunft anders anzugehen.
Im Netz fällt diese Rückmeldung weg, sodass wir mit uns selbst und unseren eigenen Reaktionen allein sind. Wir sehen nicht, wie unser Gegenüber auf unseren Kommentar reagiert oder ob wir die Person möglicherweise verletzt haben. Dadurch sinkt die Hemmschwelle und viele Menschen sind online nur noch auf die eigenen Emotionen und Empfindungen fokussiert.
Auch Einfühlungsvermögen kann man trainieren
Die gute Nachricht ist, Empathiefähigkeit lässt sich trainieren! Wenn du dich also dabei ertappst, dass du online oder offline nur wenig verständnisvoll auf andere reagierst, kannst du etwas dagegen tun. Neben einem Digital Detox können auch diese Übungen im Alltag helfen:
1. Übe dich in aktivem Zuhören
Beim aktiven Zuhören nach Carl Rogers schenkst du deinem Gegenüber volle Aufmerksamkeit – nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit Herz und Verstand. Das Ziel besteht darin, das Gesagte (und Gemeinte) kognitiv und emotional zu verstehen.
Die Kernelemente des aktiven Zuhörens sind:
- Aufmerksamkeit zeigen: Blickkontakt, Nicken, offene Körperhaltung
- Nachfragen und paraphrasieren: „Habe ich richtig verstanden, dass…?“
- Gefühle spiegeln: „Das klingt, als hätte dich das sehr belastet.“
- Nicht unterbrechen oder bewerten: Raum geben, ohne vorschnell zu reagieren
Aktives Zuhören stärkt Vertrauen, reduziert Missverständnisse und ist damit ein Schlüssel zu empathischer Kommunikation.
2. Achtsamkeitsübung: "Die 3-Minuten-Atempause"
Auch Achtsamkeitsübungen wie die 3-Minuten-Atempause eignen sich gut, um die eigene Empathie zu trainieren und weniger im Affekt auf andere zu reagieren.
So geht’s:
- In der ersten Minute: Ankommen
Atme tief durch und spüre in dich hinein: Welche Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen sind gerade da? Nur beobachten, nicht bewerten.
- In der zweiten Minute: Atmen
Konzentriere dich auf deinen Atem und spüre, wie er kommt und geht. Das beruhigt und klärt den Geist.
- In der dritten Minute: Weiten
Erweitere jetzt deine Aufmerksamkeit: Wie geht es den Menschen um dich herum? Was könnten sie gerade fühlen? Stell dir Mitgefühl wie einen inneren Kreis vor, der sich ausdehnt.
Übungen wie diese sind sehr gut vor wichtigen Gesprächen, Meetings oder in Konfliktsituationen. Oder auch, wenn du merkst, dass deine Hemmschwelle beim Scrollen sinkt und dich entspannen möchtest.
3. Auch mal die Perspektive wechseln
Du hattest kürzlich online oder offline ein Missverständnis oder eine Konfliktsituation mit einer anderen Person? Kurz mal die Perspektive zu wechseln, könnte schnell Klärung bringen!
So geht’s:
- Denke an die Person, mit der du kürzlich ein Missverständnis oder Konflikt hattest.
- Schreibe (oder denke) aus ihrer Sicht: „Was war mir in dem Moment wichtig?“, „Was habe ich vielleicht gefühlt oder befürchtet?“, „Wie hätte ich gewollt, dass die oder der andere reagiert?“
- Lies oder reflektiere die Perspektive bewusst, ohne dich dabei selbst zu rechtfertigen.
Diese Übung kann emotional herausfordernd, aber sehr aufschlussreich sein.
4. Geschichten, Filme, und Kunst fördern Empathie
Auch anspruchsvolle Literatur, Filme oder Kunst können unsere Empathie fördern. Das hat eine Studie der New School for Social Research in New York herausgefunden. Die Versuchsteilnehmer:innen bekamen dazu Texte aus Sachbüchern, literarischen Werken und Unterhaltungsromanen zum Lesen. Es zeigte sich, dass gerade die Leser:innen von anspruchsvoller Literatur die inneren Zustände ihres Gegenübers besonders gut entschlüsseln konnten. Das liegt daran, dass diese Texte unser Vorstellungsvermögen trainieren, uns herausfordern und uns dazu bringen, uns in komplexe Charaktere hineinzuversetzen.
Übrigens lässt sich Einfühlungsvermögen besonders gut im Kindesalter trainieren. Wenn Eltern ihren Kindern beispielsweise regelmäßig Geschichten erzählen oder etwas vorlesen, kann das nicht nur helfen, eine Sprache für die eigenen Gefühle zu finden. Kindern lernen dabei auch, die Perspektive zu wechseln und sich in andere hineinzuversetzen.
Empathisch bleiben!
Unsere Fähigkeit zur Empathie ist keine Schwäche, sondern etwas Besonderes, das in einer fairen und demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist. Lass dich nicht von Gegentrends anstecken, sondern bleib empathisch – sowohl offline als auch online!
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