
Zimmerin Anna: Darum braucht es mehr weibliche Vorbilder im Handwerk
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privat
- 4. Juli 2025
„Wer was reißen will, braucht keinen Schreibtisch“, sagt Zimmerin Anna. Für sie bedeutet Handwerk: anpacken, gestalten, mitwirken. Auf Social Media inspiriert sie andere, ihr eigenes Ding zu machen. Mit change spricht sie über ihren Weg ins Handwerk, Vorurteile auf der Baustelle und Social Media als Sprachrohr.
Die Wahl zur Miss Germany ist längst mehr als ein Schönheitswettbewerb. Heute steht sie für Frauen, die Verantwortung übernehmen und als Vorbilder vorangehen. Das Ziel der Wahl: Empathie stärken und eine moderne, vielfältige Gesellschaft mitgestalten. Genau dafür werden Frauen ausgezeichnet, die Haltung zeigen, so wie Zimmerin Anna, die es bis ins Finale der Miss Germany Wahl 2024 geschafft hat.

Anna …
… ist Zimmerin im Familienbetrieb ihres Vaters. Mit 17 begann sie ihre Ausbildung und teilt seitdem ihren Arbeitsalltag auf Instagram. Sie hat es 2024 ins Finale der Wahl zur Miss Germany geschafft. Ihr Ziel war dabei, das Handwerk sichtbar zu machen.
Zimmerin Anna online:
Instagram
TikTok
change | Warum hast du dich gerade für das Handwerk und den Beruf der Zimmerin entschieden?
Anna | Mein Vater ist Zimmerer mit eigenem Betrieb, dadurch bin ich sehr früh mit dem Beruf in Berührung gekommen. Mit zwei Jahren war ich das erste Mal mit auf der Baustelle und habe ab elf Jahren angefangen, mitzuhelfen – erst für ein bisschen Taschengeld, später als Minijobberin. Eigentlich wollte ich nie Zimmerin werden, denn ich fand den Geruch von Holz früher richtig schlimm und dachte, das sei nichts für mich. Aber durch das Mithelfen habe ich die Arbeit erst richtig kennengelernt und irgendwann gemerkt, wie viel Spaß mir das macht. Ich wollte es einfach selbst können und verstehen, wie man aus Holz etwas so Großes wie ein Dach bauen kann.
Was liebst du besonders an deinem Beruf?
Ich liebe die Arbeit mit Holz. Es ist ein unglaublich vielseitiger Werkstoff, mit dem sich fast alles realisieren lässt. Außerdem mag ich die Teamarbeit auf der Baustelle, das Zusammenarbeiten und das füreinander Einstehen. All das macht den Beruf für mich zu etwas ganz Besonderem.
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„Ich liebe es, etwas zu schaffen, das Bestand hat: ein Haus, in dem Menschen leben, lachen und eine Familie gründen. Der Gedanke, dass ich mit meinen eigenen Händen dazu beigetragen habe, erfüllt mich sehr.“
- Zimmerin Anna, Handwerkerin und Miss Germany Finalistin
Wie bist du auf die Idee gekommen, deinen Berufsalltag auf Instagram zu teilen?
Bevor ich die Ausbildung angefangen habe, hatte ich selbst viele Zweifel. Damals habe ich auf Social Media anderen Frauen gefolgt, die im Handwerk gearbeitet haben. Das hat mir den Mut gegeben, es einfach zu machen. Ich wollte dann selbst zeigen, wie es wirklich ist, diesen Beruf zu erlernen, ohne Filter und Beschönigungen. Es sollte ehrlich und greifbar sein, damit sich andere auch trauen.
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„Von Anfang an war es mein Ziel, Menschen zu erreichen und besonders auch jungen Frauen zu zeigen: Das ist möglich, und du kannst das auch.“
- Zimmerin Anna, Handwerkerin und Miss Germany Finalistin
Welche Reaktionen bekommst du auf Social Media, besonders von anderen Frauen?
Die meisten Reaktionen von Frauen sind sehr positiv. Viele schreiben mir, dass sie durch mich den Mut gefunden haben, sich zu bewerben, und einige sind sogar schon in der Ausbildung, das berührt mich sehr. Besonders auf Instagram ist meine Community sehr unterstützend. Da bekomme ich fast nur liebe Nachrichten. Auf TikTok ist es manchmal schwieriger, da gibt es auch Kritik, zum Beispiel, weil ich „Zimmerin“ sage, was es für manche nicht gibt. Aber genau deshalb rede ich öffentlich darüber: damit sich etwas ändert.
Was hat dich stärker gemacht: die Baustelle oder Social Media?
Ich glaube, beide Erfahrungen haben mich auf ganz unterschiedliche Weise geprägt. Auf der Baustelle lernst du, körperlich durchzuhalten, auch wenn es mal hart wird, und du lernst, mit einem rauen Ton umzugehen. In den sozialen Medien bist du täglich der Meinung anderer Menschen ausgesetzt, auch der Kritik. Ich habe gelernt, dabei stabil zu bleiben und nicht alles persönlich zu nehmen. Beides zusammen hat mich stärker gemacht als je zuvor.
Gab es einen Moment in deiner Ausbildung oder im Berufsalltag, der dich besonders geprägt hat?
Viele kleine Momente haben meine Entwicklung beeinflusst, nicht nur dieser eine große Augenblick. Besonders in der Ausbildung habe ich gelernt, wie wichtig es ist, seine Meinung zu sagen und nicht alles in sich hineinzufressen. Ich musste lernen, auch mal laut zu sein und klar zu kommunizieren, was ich kann und was nicht geht.
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„Gerade als Frau wird man oft unterschätzt, da hilft es, eine klare Haltung zu haben. Das hat mich auf jeden Fall selbstbewusster gemacht.“
- Zimmerin Anna, Handwerkerin und Miss Germany Finalistin
Du hast deine Ausbildung im Betrieb deines Vaters gemacht: War das eher von Vorteil oder hat es zusätzlichen Druck erzeugt?
Beides definitiv. Es war ein Vorteil, weil ich mich sicher gefühlt habe. Ich wusste, dass mein Papa versteht, wenn ich mal an meine Grenzen komme. Gleichzeitig wollte ich natürlich beweisen, dass ich nicht nur „die Tochter vom Chef“ bin, sondern dass ich es wirklich kann. Ich wollte nicht bevorzugt, sondern ganz normal behandelt werden wie alle anderen. Insgesamt war es ein großes Glück, dass ich das mit meinem Papa zusammen erleben durfte, denn wir verstehen uns richtig gut.
Was bedeutet Handwerk für dich, heute und in Zukunft?
Für mich ist das Handwerk ein wichtiger Teil meiner Identität und meiner Zukunft. Es ist so viel mehr als „nur“ ein Job, denn es ist etwas, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Jede:r braucht Handwerker:innen, sei es für Wohnungen, Kleidung, Straßen oder Möbel. Ohne Handwerksberufe würde nichts funktionieren. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass das Handwerk auch in Zukunft systemrelevant und unverzichtbar bleiben wird.
Wurdest du schon einmal mit Vorurteilen gegenüber Frauen im Handwerk konfrontiert?
Ja, das kommt leider regelmäßig vor. Oft sind es Sprüche wie: „Kommt gleich der Kollege?“ oder „Ist dir das nicht zu schwer?“, als wäre ich nur die Begleitung und ein Mann müsste die eigentliche Arbeit machen. Ich versuche dann ruhig zu bleiben und klarzumachen: Ich kann das genauso gut. Wenn das nicht hilft, werde ich deutlicher. Es ist schade, dass solche Reaktionen noch immer Alltag sind. Aber es zeigt auch, warum ich weitermachen muss.
Du warst Finalistin bei Miss Germany: Was hat dich zur Teilnahme motiviert und was hast du mitgenommen?
Ich habe damals auf Instagram ein Reel von Miss Germany gesehen, in dem sie Moverinnen gesucht haben, also Frauen, die in männlich geprägten Berufen arbeiten oder etwas bewegen. Ich dachte: Das bin ich, das passt zu meiner Mission. Also habe ich mich einfach beworben. Es war eine großartige Erfahrung, so viele starke Frauen kennenzulernen, die alle ihre eigenen Geschichten haben. Das hat mich sehr inspiriert. Ich bin mit ganz viel Motivation und neuen Ideen nach Hause gefahren.
Was würdest du jungen Mädchen sagen, die überlegen, ins Handwerk zu gehen?
Hör auf zu zweifeln! Wenn du das willst, dann mach es einfach! Lass dich nicht von anderen verunsichern, nur weil der Beruf für ein Mädchen „ungewöhnlich“ sein soll. Es ist dein Leben, dein Weg. Du wirst überrascht sein, wie stark du bist, wenn du einfach anfängst. Trau dich, du hast nichts zu verlieren, aber so viel zu gewinnen.
Mit dem Projekt „Beschäftigung im Wandel“ begleitet die Bertelsmann Stiftung den Wandel der Arbeitswelt. Ziel ist es, Zukunftskompetenzen sichtbar zu machen und Menschen mit neuen Ansätzen für Weiterbildung und Qualifizierung zu stärken. Ein zentrales Instrument dafür ist der Jobmonitor, der aktuelle Trends am Arbeitsmarkt analysiert.