Teilen:

change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Alles, was du bisher übers Lernen wusstest, ist falsch

Eine Gruppe Menschen beim Lernen in der Schule
Interview
Jacob Lund – stock.adobe.com

Lerncoach: Alles, was du bisher übers Lernen wusstest, ist falsch

  • Uschka Pittroff
  • Jacob Lund – stock.adobe.com
  • 17. Oktober 2019

Vergiss alles, was du jemals übers Lernen wusstest! Stur Vokabeln pauken, mit dem Textmarker in der Hand Bücher wälzen, Zusammenfassungen schreiben? Das ist so ziemlich das Falscheste, was du tun kannst, sagt Coach Christian Fein. Im change-Interview gibt er nützliche Tipps, wie man erfolgreich lernt.

Coach Christian Fein im Porträt

Christian Fein

… unterstützt Vorstände und Führungskräfte sowie Organisationen durch Coaching, systemische Beratung, Mindful Leadership und Meditation. Sein Ansatz basiert auf 15 Jahren Erfahrung und einer erfolgreichen Karriere in führenden Unternehmensberatungen in Deutschland und Großbritannien sowie als Managing Director in den Niederlanden. Ab 2009 hat er sein Wissen in systemischen Ansätzen und Psychologie weiterentwickelt: Hierzu gehören psychologische Beratung, Coaching, systemische Beratung und Meditation.


Herr Fein, wir alle kennen monotones Vokabelpauken aus der Schule. Und auch im Beruf lernen wir nicht aus, heutzutage wird ständige Weiterentwicklung von uns verlangt. Muss man das Lernen lernen?

Ich nehme pro bono immer wieder Studierende im Coaching an. Und was ich beobachte, ist teils katastrophal: Nicht nur, dass Schüler*innen und Studierende nicht lernen zu lernen, genauso werden sie auch nicht auf Prüfungssituationen vorbereitet. Neben einer unnötigen Überforderung führt das bei vielen zu Frust bis hin zu depressiven Verstimmungen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegen, dass die oft verwendeten Methoden wie zum Beispiel Zusammenfassen, Highlighten, Wiederholen so ziemlich das Ineffektivste sind, das man tun kann.

Wie wir bisher gelernt haben, ist also falsch? Wie lernt man denn smarter?

Zuerst ist es sinnvoll, in drei Schritten eine Struktur bzw. einen Rahmen aufzubauen. Dazu zählen drei Themen: Fokus, Struktur und Schlaf.

Klingt simpel. Aber was mache ich konkret?

Sich fokussieren zu können, ist eine Fähigkeit, kein Talent. Das heißt, das muss man üben. Die aus meiner Sicht geeignetste Methode dafür ist die Meditation. Ich lerne, mich über längere Zeiträume zu fokussieren, gleichzeitig genieße ich den Vorteil, in eine entspannte Verfassung zu kommen und Inhalte so besser aufzunehmen. Beim zweiten Schritt spielt Zeit eine wichtige Rolle. Wir schaffen es in der Regel nicht, uns länger als 25 bis 45 Minuten wirklich zu konzentrieren. Also: Timer für Pausen stellen. Fünf bis zehn Minuten Pause sind sinnvoll. In der Zeit entstehen oftmals neue Assoziationen und neue Lösungsansätze. Der dritte Schritt, der oftmals nicht beachtet wird, ist die Qualität des Schlafes. 

Der Coach Christian Fein im Porträt

„Oft verwendete Lernmethoden wie Zusammenfassen, Highlighten, Wiederholen sind das Ineffektivste, das man tun kann.“

Christian Fein, Coach


Schlau im Schlaf?

Während des Schlafes findet ein sogenanntes Memory Processing statt und erlernte Inhalte werden vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übertragen. Hierfür ist es wichtig, nicht nur ausreichend, sondern vielmehr gut und erholsam zu schlafen. Insbesondere das Durchlaufen der verschiedenen Schlafphasen Leicht-, REM- und Tiefschlaf ist von hoher Bedeutung. Alle sedierenden Substanzen, dazu zählen Alkohol, Schlafmittel und so weiter, stören diesen Schlafrhythmus und das Memory Processing findet nur eingeschränkt statt. Bis zu 50 Prozent des Erlernten werden so nicht verarbeitet und vaporisieren im Nirwana.

Kann man das beweisen?

Ein kurzes Beispiel: In einer Schule in den USA hat man den Unterrichtsbeginn um eine Stunde nach hinten verlegt. Was ist passiert? Im nächsten Jahr wurden die Schüler*innen unter gleichen Bedingungen getestet. Der SAT Score – und nur von den zehn Prozent der Besten, bei denen die geringsten Steigerungen erwartet wurden – ist um 242 Punkte gestiegen. Gleichzeitig ist die Todesursache Nummer eins von Jugendlichen in den USA um 70 Prozent gesunken.

Suizid?

Nein. Autounfälle. Die sind um 70 Prozent gesunken. Als man das Antiblockiersystem ABS bei Autos eingeführt hat, sind die Unfälle um 25 Prozent gesunken, und das ist als die tollste Errungenschaft aller Zeiten gefeiert worden.

Eine Person steht vor Leuchtschrift.

Leichter lernen mit Musik: Dieser Trick ist viel besser als Vokabelpauken


Schlaf ist also extrem wichtig. Aber welche Tools bringen mich weiter? 

Für den Prozess des Lernens integriere ich am besten vier Methoden. Als Erstes ist es wichtig, Orientierung zum Thema zu gewinnen. Am sinnvollsten ist es, hierfür eine Mindmap zu erstellen, die ich ständig erweitern kann. Die zweite Methode ist das sogenannte Testing: Immer wieder aktiv Fragen stellen. Das nennt man Active Recall. Selbst wenn ich ein Thema noch nicht beherrsche und Fragen falsch beantwortete, kommt der sogenannte Hyperkorrektureffekt ins Spiel: Wenn ich eine Frage falsch beantworte und mir die richtige Antwort erarbeite, kann ich mir diese sehr viel besser merken. Ganz praxisorientiert heißt das: Am besten Karteikarten virtuell in Apps wie zum Beispiel Anki oder Quizlet oder physisch anlegen. Zudem ist es hilfreich, so viel wie möglich mit Bildern zu arbeiten, wo immer das möglich ist. Auf der bewussten Ebene können wir relativ wenig Information verarbeiten und auf der unbewussten sehr viel mehr. Das Unbewusste funktioniert aber in Bildern, und um dieses anzusprechen, brauche ich die.

Gibt es noch mehr Tipps und Tricks? 

Der dritte Bereich, der parallel zum Testing läuft, ist das sogenanntes Spacing und basiert auf der Lernkurve von Ebbinghaus. Inhalte, die ich bereits gut wiedergeben kann, wiederhole ich nach längerer Pause von sieben bis 30 Tagen. Inhalte, die ich mittelmäßig kann, nach Pausen von ein bis zwei Tagen. Und Inhalte, die ich noch nicht beherrsche, am selben Tag. Die vielleicht kontraintuitivste Methode ist „Interleaving“. Anstatt nur ein Thema als Block zu lernen, bearbeite ich verschiedene Themen gleichzeitig. So werden zwischen den verschiedenen Themen Bezüge geschaffen, die es mir wesentlich vereinfachen, Informationen zu behalten. Was die Verarbeitung der Inhalte angeht, gibt es zahlreiche Mnemotechniken wie zum Beispiel Gedächtnispalast und PEG-System.

Was bringt mir das?

Eine Verringerung des Zeitaufwands von 30 bis 50 Prozent ist keine Seltenheit. Wir sind soziale Wesen und Freunde treffen, Freizeit und Spaß haben sind wichtig für unser Wohlbefinden.

Danke für das Gespräch!

Lernen begleitet uns ein Leben lang. Unter dem Leitthema „Lernen fürs Leben“ arbeiten verschiedene Projekte der Bertelsmann Stiftung für ein chancengerechtes System der Aus- und Weiterbildung.