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Future Skills im Unterricht: Diese Schule zeigt wie es geht

Zwei Schülerinnen arbeiten gemeinsam an einem Robotik-Projekt mit LEGO-Bausteinen in einem Klassenzimmer. Die Schülerin in der rosa Kapuzenjacke hält einen länglichen Bauteil in der Hand, während ihre Mitschülerin im schwarzen Shirt aufmerksam zuschaut.
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Besim Mazhiqi

Diese Schule holt Future Skills in den Lehrplan

  • Besim Mazhiqi
  • 11. Juli 2025

Abiturfächer wie Deutsch, Mathe und Englisch sind Standard, aber reichen sie für die Zukunft aus? Martin Fugmann, Schulleiter des ESG Gütersloh, sagt klar: Nein. Seine Schule setzt deshalb zusätzlich auf sogenannte Future Skills, also überfachliche Kompetenzen für die Welt von morgen. Ein Besuch vor Ort zeigt, wie das gelingt.

Ein abgedunkelter Raum im Evangelisch Stiftischen Gymnasium (ESG) in Gütersloh. Auf dem Boden liegt ein Schüler mit ängstlichem Gesicht. Neben ihm hält ein anderer einen Tacker in der Hand – allerdings nicht als Waffe, sondern als Requisite. Die Schüler:innen stellen eine Szene aus „Die Tribute von Panem” nach, während konzentrierte Regieanweisungen durch den Raum hallen. Es ist Freitag, dritte Stunde, und die Neuntklässler:innen schlüpfen in die Rollen von Filmcrew und Schauspiel. Mitten im Unterricht. Aber was hat das Nachstellen einer Filmszene mit der Vorbereitung aufs Abitur zu tun? Jede Menge. Denn was auf den ersten Blick wie ein kleines, kreatives Projekt wirkt, ist Teil eines größeren pädagogischen Konzepts. Das ESG will junge Menschen nicht nur fachlich aufs Abitur vorbereiten, sondern auch auf die Herausforderungen der Zukunft, mit sogenannten Future Skills wie Teamarbeit, Kreativität und kritischem Denken.
 

Ein lächelnder Mann mit Brille und Bart trägt einen dunklen Anzug und steht entspannt vor einem unscharfen Hintergrund mit Gebäuden. Im Hintergrund ist eine orangefarbene Baumaschine zu erkennen.

Dr. Martin Noack ...

... ist promovierter Diplom-Psychologe mit den Schwerpunkten Organisationspsychologie und lebenslanges Lernen. Im Programm „Bildung und Next Generation“ der Bertelsmann Stiftung setzt er sich dafür ein, mehr Transparenz darüber zu schaffen, welche Kompetenzen in Zukunft auf dem deutschen Arbeitsmarkt gefragt sind.


Future Skills immer gefragter am Arbeitsmarkt

Der „Jobmonitor“ der Bertelsmann Stiftung, der regelmäßig Millionen von Stellenanzeigen analysiert, bestätigt diesen Trend. Er zeigt: Begriffe wie Einsatzbereitschaft, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein tauchen immer häufiger in Stellenausschreibungen auf. Doch wie lassen sich diese sogenannten Future Skills überhaupt vermitteln? Und wie bereitet man junge Menschen auf eine Zukunft vor, die sich so rasant verändert, dass viele der Berufe, die sie einmal ergreifen werden, heute noch gar nicht existieren?
 

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Studie zeigt: Diese Kompetenzen gewinnen an Bedeutung

Dr. Martin Noack beobachtet einen Wandel auf dem Arbeitsmarkt. Digitalisierung, Globalisierung und der demografische Wandel verändern die Anforderungen an Beschäftigte und machen deutlich, dass Fachwissen allein nicht mehr ausreicht. Noack war an der Entwicklung von ESCO, der Kompetenz- und Berufssystematik der EU-Kommission, beteiligt. Diese listet unter anderem 95 überfachliche Kompetenzen auf. Gemeinsam mit Larissa Klemme, Projektmanagerin für Future Skills, hat er in der Studie „Kompetenzen für morgen” untersucht, welche dieser Fähigkeiten aktuell besonders gefragt sind. Das Ergebnis: Teamfähigkeit, Einsatzbereitschaft und Selbstständigkeit zählen zu den wichtigsten Kompetenzen. Doch auch Einfühlungsvermögen, Eigeninitiative und Problemlösefähigkeit gewinnen stetig an Bedeutung.
 

„Im Jobmonitor analysieren wir jeden Monat Hunderttausende Stellenanzeigen in Deutschland. Der Trend ist eindeutig: Überfachliche Kompetenzen sind gefragter denn je.“

Dr. Martin Noack - Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung


Zwischen Schulglocke und digitalem Klassenzimmer

Ein vertrautes „Ding-Dang-Dong“ hallt durch die Flure des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums (ESG) in Gütersloh. Seit Jahrzehnten kündigt es den Stundenwechsel an. Fast nostalgisch wirkt es in einer Schule, die längst digital denkt. Die Schüler:innen strömen in den Deutschunterricht bei Hendrik Haverkamp. „Guten Mooooorgen, Herr Haverkamp!“, schallt es im Chor – ein klassisches Ritual, das noch ganz der alten Schule entspricht. Doch was dann folgt, steht im starken Kontrast dazu: Laptops werden aufgeklappt, Stühle gerückt, das große digitale Board aktiviert. Kreidetafel war gestern.

Moritz, ein Schüler des ESG, berichtet, dass die Schüler:innen ab der 5. Klasse iPads bekommen und ab der 7. Klasse eigene Laptops. Sein Sitznachbar Luis ergänzt, dass KI hier schon vor ChatGPT im Unterricht eingesetzt wurde. Doch die Technik, so betont Lehrer Haverkamp, sei nur Mittel zum Zweck. „Es geht uns vor allem darum, die Future Skills zu fördern“, erklärt er weiter. Die von einer Stiftung getragene Schule hat aus den 95 überfachlichen Kompetenzen vier ausgewählt: die vier Ks – Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität.
 

Schulleiter Martin Fugmann treibt aktiv Veränderungsprozesse am ESG voran. Er weiß aber auch, dass es den Mut des Kollegiums und der Schüler:innen braucht, damit diese gelingen.


Schüler:innen befähigen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen

Ein großes Thema an der Schule sind auch alternative Prüfungsformate. Die Schüler:innen berichten von Projektarbeiten, Präsentationen und Videos. „Zusammenarbeit in Prüfungssituationen ist eigentlich als Täuschungshandlung ausgewiesen, aber wir versuchen, Prüfungen anders zu organisieren“, erklärt Haverkamp und nennt als Beispiele eine Gruppenarbeit während einer Klausur oder eine benotete Präsentation. „Es geht darum, junge Menschen zu befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und die Zukunft mitzugestalten. Dafür braucht es mehr als nur gute Noten – es braucht Persönlichkeit, Engagement und den Mut, neue Wege zu gehen.“, betont Schulleiter Martin Fugmann.
 

Welche Future Skills sind am Arbeitsmarkt gefragt?

Wie hoch ist der Prozentsatz der Jobanzeigen, die Einsatzbereitschaft fordern?

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Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2023.

Quelle: Jobmonitor der Bertelsmann Stiftung

Wie hoch ist der Prozentsatz der Jobanzeigen, die Teamfähigkeit als Voraussetzung angeben?

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Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2023.

Quelle: Jobmonitor der Bertelsmann Stiftung

Wie oft wurde Selbstständigkeit in Jobanzeigen genannt?

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Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2023.

Quelle: Jobmonitor der Bertelsmann Stiftung

Wie hoch war der Anteil der Jobanzeigen, in denen Planungsfähigkeit gefragt war?

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Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2023.

Quelle: Jobmonitor der Bertelsmann Stiftung


So sieht die Schule der Zukunft aus

Auf die Frage, wie die Schule der Zukunft aussieht, hat Martin Fugmann eine klare Antwort: „Sie ist digital, personalisiert und projektorientiert. Sie ist ein Ort, an dem Schüler:innen ihre individuellen Talente entfalten können, an dem sie lernen, selbstständig zu denken und zu handeln, und an dem sie sich auf eine Zukunft vorbereiten, die wir heute erst in Ansätzen erahnen können. Und sie ist vor allem eins: ein Ort, an dem mit Freude gelernt wird.“

Doch moderne Technologien im Unterricht – von Robotern über Kamera-Equipment bis hin zu KI – werfen auch Fragen auf. „Es ist ein Lernprozess für uns alle“, sagt Deutschlehrer Hendrik Haverkamp. „Wir müssen gemeinsam mit den Schüler:innen herausfinden, wie wir diese Hilfsmittel sinnvoll und verantwortungsvoll einsetzen können.“

Luis freut sich über neue Lernansätze, die die Kollaboration fördern. Es werden zum Beispiel zunehmend auch Präsentationen und Projektarbeiten benotet. Und während der letzten Englischklausur durften die Schüler:innen sich für zehn Minuten in einem Nebenraum ohne Schreibutensilien zur gestellten Aufgabe austauschen.


Lernen braucht mehr als nur Fachwissen

Der Wandel sei ein echter Change-Prozess, sagt Schulleiter Martin Fugmanns – nicht nur im Kopf der Schulleitung, sondern im gesamten Kollegium. Ein Blick auf die Jobmonitor-Daten stützt Fugmanns Haltung. Die zentrale Frage sei: Wie lange passt der klassische Fächerkanon noch zur Realität? „Die Einteilung der Welt in 14 Fächer ist nicht mehr hilfreich“, sagt er. „Wir müssen interdisziplinär denken und bedeutungsvolle Lernerfahrungen schaffen.“ Doch jetzt müssten sie erst einmal mit dem arbeiten, was das Land Nordrhein-Westfalen vorgibt.

Der Future Skills Summit der Bertelsmann Stiftung bringt Bildungsexpert:innen aus allen Bereichen zusammen: von der Kita bis zur Weiterbildung. Ziel: Bildung neu denken und Menschen fit für die Zukunft machen.