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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Bundespräsident Steinmeier über die Zukunft der Demokratie

Der Bundespräsident wird in seinem Amtszimmer interviewt
Interview
Bundesregierung / Liesa Johannssen

Zur Zukunft der Demokratie: Bundespräsident Steinmeier im Interview

  • Bundesregierung / Liesa Johannssen
  • 18. Juli 2022

Im Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im März 2022 diskutierten change Chefredakteurin Malva Sucker und der Sprecher der Bertelsmann Stiftung Jochen Arntz über nichts weniger als die Zukunft der Demokratie. Es ging um Engagement, Zusammenhalt, Solidarität – und um Kontroversen.

„Wer die Demokratie angreift, wird mich zum Gegner haben.“ Der Satz des Bundespräsidenten ist eine deutliche Ansage. Was können wir alle tun, um uns Angriffen auf unsere Freiheit entgegenzustellen?
 

Die Zukunft der Demokratie stand im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe des Bundespräsidenten „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“, die in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde. Hier ging es um grundsätzliche Fragen unserer freiheitlichen Demokratie. Seit September 2017 diskutierte der Bundespräsident regelmäßig mit Gesprächspartner:innen aus Wissenschaft, Politik, Kultur, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Im Forum Bellevue wurden auch schwierige Fragen gestellt. Es ging um neue Perspektiven, nicht um alte Gewissheiten: Wie kann Demokratie heute gelingen? Und wie kann sie die aktuellen Anfeindungen abwehren?


Malva Sucker, change Chefredakteurin | Das Thema Zukunft der Demokratie war immer ein Kernanliegen für Ihre Präsidentschaft und bereits seit 2017 sprechen Sie im Forum Bellevue darüber, das Sie gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung veranstalten. Und Sie diskutieren mit Wissenschaftler:innen, mit Politiker:innen, mit Journalist:innen, mit Künstler:innen über die Frage, was müssen wir tun, um die Demokratie zukunftsfähig zu halten. Gab es das eine Antwort in den Foren, die Sie besonders berührt oder beeindruckt hat?

Bundespräsident Steinmeier | Zunächst mal hat mich berührt die Zahl der fragenden Gesichter, an die ich mich erinnere, als ich gefragt wurde, was wird das Thema ihrer Amtszeit werden. Und wir hatten damals eine Zeit, in der eine Welle von Hass und Gewalt sich in den sozialen Medien niederschlug und das hat natürlich Rückwirkungen auf die politische Kultur in unserem Lande und deshalb auch auf die Demokratie. Ich habe gesagt, ein Präsident wird sich am Ende niemals ganz frei zeigen, sich ein Thema auszusuchen, was mit der Realität nichts zu tun hat – sondern die Zukunft der Demokratie ist das Thema, das ist auch nicht mit einer Amtszeit erledigt. Aber ich glaube, es war von einer solchen Bedeutung, dass wir es in einer Amtszeit verdichten, wie wir es versucht haben.
 


Bundespräsident Steinmeier | Dank der Bertelsmann Stiftung waren wir in der Lage, in 12 Veranstaltungen mit insgesamt 40 Gästen, Experten, wie Sie zu Recht sagen aus Wissenschaft, aus Kultur, aus Wirtschaft und anderen Bereichen über die Zukunft der Demokratie zu diskutieren. Wir haben gesprochen über das Verhältnis von Fortschritt und Demokratie, wir haben uns unterhalten über die Bedeutung der Religion in der Demokratie, wir haben gesprochen und heftig diskutiert über die Frage: Wie kann Transformation gelingen in einer Demokratie und vieles andere. Dank der Förderung der Bertelsmann Stiftung ist daraus auch ein Buch geworden, was jetzt an die Öffentlichkeit gehen kann, und ich werde lange davon zehren, dass wir mit diesen 40 Gästen ein Spektrum an Meinungen hatten, bei dem ich selbst sehr viel gelernt habe, auch deshalb viel gelernt habe, weil wir manchmal einen Blick von außen auf uns bekommen haben von nichtdeutschen Expertinnen und Experten. 

Parag Khanna, an den ich mich zum Beispiel erinnere mit einem Diskussionsbeitrag, der mich einerseits irritiert hat, aber auch lange hat nachdenken lassen über seine These, dass die Legitimation von Demokratie am Ende nicht nur vom Input lebt, also wie viel Beteiligung und Partizipation organisiere ich, sondern auch an der Frage vom Output – sind Demokratien in der Lage Entscheidungen zu fällen? Und wir haben lange diskutiert, ist das ein technokratischer Ansatz oder ist das nicht ein ergänzendes Legitimationskriterium, was wir ernst nehmen müssen? Wunderbare Veranstaltung am Anfang vor der Pandemie mit vielen Gästen und Fragen aus dem Publikum, die diese Diskussion erst richtig belebt haben, leider dann seit Beginn der Pandemie in Veranstaltungen manchmal fast nur mit den Experten hier im Schloss Bellevue oder aber mit wenigen Zuschauern. Das hat den Charakter verändert, aber nicht die Dichte der Diskussionen, die wir hatten. Herta Müller hat zum Beispiel den Ball wieder aufgenommen nach der Pandemie, hat auch die verzweifelte Situation beschrieben, die in vielen Familien herrscht, die sich als Mehltau in den Strukturen der Gesellschaft niederschlägt und hat gesagt, am Ende ist der Staat doch nichts Fremdes von uns, sondern wir selbst sind es, die die Antwort geben müssen auf die Zukunft der Demokratie, wir engagierte Bürger, die diese Demokratie lebendig halten.

Das ganze Interview mit Bundespräsident Steinmeier zum Nachhören

Das komplette Gespräch kannst du im Podcast „Zukunft gestalten“ der Bertelsmann Stiftung hören:
 


Jochen Arntz | Reden wir noch einmal über die Gefährdung der Demokratie. In Ihrer Rede zu Ihrer Wahl zur zweiten Amtszeit haben Sie gesagt: „Wer die Demokratie angreift, wird mich zum Gegner haben.“ Sehr starker Satz. Was kann ein Bundespräsident, was können Bürgerinnen und Bürger vielleicht auch tun, um sich Angriffen gegen die Demokratie entgegenzustellen, um Anfeindungen abzuwehren?

Bundespräsident Steinmeier | Es ist der Grund dafür, weshalb ich sage, das Thema Zukunft der Demokratie ist natürlich nicht mit einer Amtszeit erledigt, sondern es sind Gefährdungen virulent, die nicht weg sind, weil eine Amtszeit zu Ende geht, sondern die sich möglicherweise verändern, aber mit ihren Grundstrukturen zusammenhängen. Das eine Thema haben wir schon berührt, das will ich nicht erneut aufgreifen, das ist das Thema Hass und Gewalt in sozialen Medien, was mich weiß Gott nicht dazu führt, die sozialen Medien zu verdammen.

Eine Frau scrollt durch Social-Media-Feeds.

Respekt im Netz: Was tun bei digitaler Gewalt?


Bundespräsident Steinmeier | Vielleicht erleben wir jetzt gerade in dieser Zeit des Ukraine-Krieges neu, wie wichtig soziale Medien sind, wenn andere Formen der Kommunikation verboten und unterdrückt werden. Wir brauchen soziale Medien, aber wir brauchen eine Kultur in den sozialen Medien und das ist ein Thema, bei dem ich mich – und hoffentlich viele andere – auch weiter engagieren werde. Um nicht missverstanden zu werden, das heißt nicht, sich zu wünschen, dass wir in sozialen Medien ohne Kontroverse leben oder gar alle einer Meinung sein müssen, ganz im Gegenteil, Demokratie braucht Kontroverse.

Die Frage ist nur, wo ziehen wir die roten Linien. Die rote Linie ist natürlich nicht Kritik an einer Regierung oder Kritik an einer Partei, sondern ich darf es noch einmal wiederholen, die rote Linie muss sein Hass und Gewalt. Bis dahin können wir und müssen wir miteinander diskutieren, auch über noch so strittige Themen. Das Impfen und später die Impfpflicht war ein solches Thema, aber ich bin mir sicher, dass diejenigen, die sich dort gezeigt haben, auch wieder auf der Suche nach neuen Themen sind, wir neue Kontroversen erleben. In meiner Rede bei der Wiederwahl habe ich angedeutet, es könnte sein, dass wir demnächst viel größere Kontroversen zum Beispiel wie die Frage der richtigen Maßnahmen gegen den Klimawandel haben werden. Darüber hinaus aber und jenseits der sozialen Medien habe ich natürlich auch gespürt in vielen Veranstaltungen, es gibt auch Skepsis gegenüber den demokratischen Institutionen, es gibt auch Skepsis gegenüber den Repräsentanten der Demokratie, ganz gleich ob auf der Bundesebene, der Landesebene oder der kommunalen Ebene und auch hier immer wieder klar zu machen, dass was dort geschieht, das ist nicht etwas Fremdes, es gibt nicht den Staat, der mit der Gesellschaft nichts zu tun hat, sondern der Staat lebt davon, dass Menschen sich aus der Gesellschaft engagieren. Das muss nicht unbedingt in Parlamenten sein, das muss auch nicht unbedingt in Parteien der Fall sein, sondern ich sage immer: jeder der über den Tellerrand seiner eigenen Interessen hinausschaut, der engagiert sich schon für Demokratie in unserer Gesellschaft und davon gibt es, Gott sei Dank, mehr als den meisten so bewusst ist. Es sind immerhin 30 Millionen Menschen, die sich auf irgendeine Art und Weise ehrenamtlich engagieren, und das ist ein ganz starkes Rückgrat unserer demokratischen Gesellschaft, das es so in vergleichbarer Form, auch in keiner anderen europäischen Gesellschaft gibt.

Demokratien stehen weltweit unter Druck. Doch zivilgesellschaftliches Engagement ist vielerorts ein Lichtblick. Die Bertelsmann Stiftung setzt sich mit ihren vielfältigen Aktivitäten rund um Demokratie für eine kritische und offene Debatte zu unserer freiheitlichen Staatsform ein.