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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Bob Blume über das deutsche Schulsystem

Bob Blume vor einem neutralen Hintergrund.
Interview
Niko Neithardt

Bildungsinfluencer Bob Blume: Wir brauchen junge Menschen, die etwas verändern wollen!

  • Niko Neithardt
  • 15. Dezember 2023

Bob Blume, Lehrer und Bildungsinfluencer, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um das deutsche Schulsystem geht. Im Interview mit change erklärt er, warum der Lehrkräftemangel eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen ist und warum engagierte junge Menschen unsere Hoffnungsträger:innen sind.

Blume blickt auf eine „fast komplett geniale“ Schulzeit zurück. Trotzdem hat er ein Buch darüber verfasst, was er an der Schule hasst. Dabei verliert er nie aus dem Blick, dass jede:r Einzelne Veränderungen bewirken kann. Im Dialog mit dem Autor und Podcaster tauchen wir in seine persönliche Sicht auf die Bildungswelt ein und erkunden mit ihm die Herausforderungen und Möglichkeiten, die das deutsche Schulsystem bietet.

Bob Blume sitzt vor einem Bücherregal, in der Hand hält er sein eigenes Buch mit dem Titel „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“.

Bob Blume

… ist Lehrer an einem Gymnasium, Blogger, Referent, hat einen Podcast und ist außerdem Bildungsinfluencer. In all diesen Funktionen bewegt ihn vor allem eines: das deutsche Bildungssystem und wie man es besser machen könnte.

Bob Blume online: BlogYouTubePodcastInstagram
 


change | Wie blickst du auf deine eigene Schulzeit zurück?

Bob Blume | Ich bin grundsätzlich immer sehr gerne zur Schule gegangen. Mein letztes Schuljahr war etwas kompliziert, weil es sehr viele Lehrer:innenwechsel gab und der Druck sehr groß war. Ansonsten hat es mir aber sehr viel Spaß gemacht, natürlich mal mehr und mal weniger.

Viele Jugendliche haben nach der Schule erst mal genug davon und finden den Lehrer:innenberuf eher abschreckend. Wie ist bei dir der Wunsch entstanden, Lehrer zu werden? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Bei mir hat sich das alles relativ spät entwickelt. Mein Studienbeginn war ziemlich chaotisch – etwa im vierten oder fünften Semester, kurz nach der Zwischenprüfung, habe ich mir überlegt, auf Lehramt zu wechseln. Das war eher eine Rückbesinnung auf meine Zeit als Teamleiter in einer evangelischen Bildungsstätte in Hagen-Berchum, in der ich viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet habe. Als ich dann im Rahmen meines Praktikums in Baden-Württemberg erste Erfahrungen als Lehrer sammeln konnte, habe ich wirklich gemerkt, dass es das ist, was ich machen möchte.
 

„In den nächsten zehn Jahren wird sich das Konzept Schule grundlegend verändern. Nicht weil es sich ändern will, sondern weil es sich ändern muss.“

– Bob Blume, Bildungsinfluencer


Wann und wie hast du gemerkt, dass du dich öffentlich zu den Problemen im Bildungssystem äußern willst?

Im Grunde war es ein schrittweises Hineinwachsen. In meinem ersten Blogbeitrag habe ich die Widersprüche im Referendariat kritisiert, dass die Fachleiter:innen einerseits Authentizität einfordern, andererseits aber Unterricht nach ihren Vorgaben verlangen. Mit meinem Text über die Probleme der Notengebung ist mir einige Zeit später der Durchbruch als Schulkritiker gelungen. Die Zeit von 2011 bis 2019 war geprägt von vielen Diskussionen auf Konferenzen, im Internet und auf Tagungen. Alle waren sich einig, dass Veränderungen notwendig sind. Den Höhepunkt hat meine Rolle als Schulkritiker in der Coronazeit erreicht: Die Pandemie war wie ein Brennglas, das die Defizite und Probleme, die es schon vorher gab, besonders deutlich gemacht hat. Diese Phase war ein zusätzlicher Katalysator für mein teilweise aktivistisches Handeln.
 


Welche Auswirkungen hat der Lehrer:innenmangel deiner Meinung nach auf das Bildungssystem? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?

Zunächst müssen wir erkennen, dass wir erst am Anfang des Problems stehen. Um es kurz zu machen: Die gesellschaftliche Herausforderung besteht nicht unbedingt nur darin, dafür zu sorgen, dass die Lehrkräfte entlastet werden. Ich denke, es geht um viel mehr, nämlich darum, dass unsere Gesellschaft weiter existieren kann. Ich glaube, dieses Bewusstsein ist noch nicht ausreichend verankert. Was wir wirklich brauchen, sind motivierte junge Menschen mit Ideen, die Veränderungen anstoßen wollen, die bereit sind, mit anderen zusammenzuarbeiten, und die den Mut haben, Dinge anders zu machen. Wir brauchen Pädagog:innen, die Kinder und Jugendliche begeistern können, die inspirieren und fachlich kompetent sind. Wer aber selbst keine Freude an dem hat, was er tut, kann aus meiner Sicht auch keine gute Arbeit machen.
 

#NeustartBildungJetzt

• 47.500 Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss.

• 51.000 Lehrkräftestellen sind unbesetzt.

• Bis zu 30 Prozent der Viertklässler:innen verfehlen die Standards im Lesen, Schreiben, Zuhören und Rechnen.

• 630.000 junge Menschen befinden sich nicht in Ausbildung, Weiterbildung oder Arbeit.

Strukturelle Probleme erfordern einen Aufbruch auf höchster politischer Ebene: Mit #NeustartBildungJetzt appelliert ein breiter Kreis aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften an den Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder, mit einem nationalen Bildungsgipfel einen grundlegenden Reformprozess im Bildungswesen einzuleiten.

Mädchen mit Rucksack und Büchern.


Können digitale Werkzeuge wie künstliche Intelligenz (KI) die Bildung in Zeiten des Lehrkräftemangels unterstützen?

Die Frage ist immer: Für wen, in welcher Zeit und mit welchen Mitteln? Ein System, das auch digital weniger versierte Lehrkräfte schnell auf den neuesten Stand bringt, hätte enormes Potenzial. Leider gibt es so etwas nicht. Stattdessen profitieren die Lehrkräfte, die bereits digital geschult sind und sich weiter engagieren. Für sie könnte KI langfristig von Vorteil sein. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, welche Ängste solche Entwicklungen bei den weniger Erfahrenen auslösen können. Für diese Gruppe ist die Digitalisierung mit Ängsten verbunden, und deshalb liegt es in der Verantwortung der Schulen und der Politik, in den kommenden Jahren eine klare Vision für die Zukunft des Bildungssystems zu entwickeln. Eine Vision, die deutlich macht, wohin wir in einer von KI und Digitalisierung geprägten Gesellschaft wirklich wollen.
 

„Die politische Herausforderung besteht darin, zu erkennen, dass das Bildungssystem die zentrale Schnittstelle dafür ist, ob Deutschland weiterhin in Wohlstand existieren kann.“

– Bob Blume, Bildungsinfluencer


Was würdest du jungen Menschen sagen, die mit dem Gedanken spielen, Lehrer:in zu werden, sich aber noch nicht sicher sind? Auf jeden Fall machen, jein oder lieber die Finger davon lassen?

Das hängt für mich von der Motivation dahinter ab. Menschen wählen ihren Beruf oft aufgrund von Erfahrungen. Diese Erfahrungen prägen von Anfang an ein bestimmtes Berufsbild, das aber nur ein Drittel des Ganzen ausmacht. Was sie nicht sehen ist der tatsächliche Alltag der Lehrer:innen: die Elterngespräche, die Verwaltungs- und die Korrekturarbeiten. 
 

Was denken Schüler:innen eigentlich über die Schule?

Um wen geht es in der Schule? Richtig: die Schüler:innen. Doch diese kommen viel zu selten zu Wort, wenn es um Kritik am Schulsystem geht. Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts forsa aus dem Herbst 2022 zeigt, dass Jugendliche deutliche Kritik am deutschen Schulsystem haben. Diese Kritik gilt es zu hören und zu diskutieren. In einem unserer Beiträge haben wir Schüler:innen gefragt, was sie von dem Schulsystem halten. Die spannenden Antworten kannst du hier nachlesen.

Ein Mädchen steht vor einer Backsteinmauer und hält ein Buch vor ihren Kopf.


Immer wieder werden Stimmen von Schüler:innen laut, dass Schulnoten in der jetzigen Form nicht mehr zeitgemäß sind und sie unter Druck setzen. Auch du setzt dich für eine Schule ohne Noten ein. Was ist die Alternative?

Eine Alternative zu Schulnoten könnte darin bestehen, konstruktives Feedback zu geben, das das Lernen unterstützt, anstatt es zu behindern. Leider bewirken Schulnoten oft genau das Gegenteil: Sie signalisieren entweder, dass man gut ist und nicht mehr lernen muss, oder dass man schlecht ist und das Lernen sowieso nichts mehr bringt. Die Frage ist eher: Was spricht eigentlich für Noten? Aus meiner Sicht sprechen nur Gewohnheit und Effizienz für Noten. Das Problem ist, dass es sehr schwer ist, sich von der Effizienz zu lösen. Wenn wir über alternative Formen des Feedbacks sprechen, bedeutet das mehr Arbeit – und wir haben bereits einen Mangel an Lehrer:innen. Es würde zusätzliche Zeit, Ressourcen oder Personal erfordern. Das macht die Umsetzung von Alternativen schwierig. Aber wenn Noten Schüler:innen unter Druck setzen, dann müssen wir Alternativen entwickeln.
 

Das neue change Magazin ist da!

Neugierig geworden? Die Ausgabe 2/23 des change Magazins gibt es hier kostenlos zum Download.


Welche positiven Entwicklungen und Veränderungen siehst du im deutschen Bildungssystem? Gibt es Beispiele oder Initiativen, die Hoffnung machen?

Ich sehe auf jeden Fall Beispiele und Initiativen, die mir Hoffnung machen. Die wichtigsten Potenziale liegen bei den Schüler:innen selbst, die engagiert sind und sich für Veränderungen einsetzen. Ich glaube, wenn man die Schüler:innen mehr einbinden würde, könnten große Potenziale für Veränderungen innerhalb des Systems entstehen.

Wie können Lehrer:innen, Schüler:innen und Bildungspolitiker:innen zusammenarbeiten, um das Bildungssystem in Deutschland nachhaltiger und gerechter zu gestalten? Welche Botschaft möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich für eine bessere Bildung engagieren wollen?

Hört niemals auf, mutig zu sein!

Vielen Dank für das Gespräch und diese wichtigen Worte zum Abschluss!

Gemeinsam mit über 100 Organisationen appelliert die Bertelsmann Stiftung mit #NeustartBildungJetzt für grundlegende Reformen im Bildungswesen. Der Blog „Schule21“ der Bertelsmann Stiftung beleuchtet die vielfältigen Herausforderungen im Kontext von Digitalisierung, Inklusion, Zukunftskompetenzen und Lehrkräften an Schulen. Darüber hinaus gibt er einen Ausblick auf Potenziale und Perspektiven für die Zukunft der Bildung.