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Syrer*innen in Deutschland: Wie geht es syrischen Flüchtlingen heute?

Passanten auf einer Straße.
Kolumne
Adobe Stock / lorabarra

Kolumnistin Suzanna Alkotaish: Wie geht es Syrer*innen, die 2015 nach Deutschland kamen, heute?

  • Suzanna Alkotaish
  • Adobe Stock / lorabarra
  • 26. Oktober 2018

Suzanna Alkotaish ist 28 Jahre alt, stammt aus Syrien und floh 2015 vor dem Krieg nach Deutschland. Die ausgebildete Journalistin hat für change andere Syrer*innen in Deutschland befragt, wie ihr Leben nach der Flucht wirklich aussieht.

Was haben syrische Flüchtlinge, deren Asylantrag anerkannt wurde, drei Jahre nach ihrer Ankunft erreicht? Mit welchen Schwierigkeiten haben sie, insbesondere beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, zu kämpfen und was denken sie über das Leben in Deutschland?

Wie es Syrer*innen in Deutschland geht

Rihab, 43 Jahre alt, Agraringenieurin, Mutter von zwei Kindern

Rihab wurde drei Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland Asyl gewährt, sie begann sofort mit Sprachkursen und einem Integrationskurs. Zurzeit besucht sie einen Sprachkurs mit C1-Niveau.

„Ich habe das Gefühl, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt weniger syrische Akademiker*innen gefragt sind als zum Beispiel Handwerker*innen oder andere Fachkräfte.“

Rihab, 43


„Ich bereite mich gerade auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt vor,“ erzählt sie mir. „Dafür brauche ich sehr gute Sprachkenntnisse und möchte durch Praktika in verschiedenen Bereichen erste Arbeitserfahrungen sammeln.“

Rihab hat Sorge, dass es schwierig werden könnte, einen Job entsprechend ihres Berufes, ihres Alters und Wohnorts zu finden. „Ich habe das Gefühl, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt weniger syrische Akademiker*innen gefragt sind als zum Beispiel Handwerker*innen oder andere Fachkräfte.“

Für Rihab ist es ein sehr wichtiger Schritt, einen Beruf ausüben zu können. Damit könne man sich in die deutsche Gesellschaft integrieren und sich vom Jobcenter unabhängig machen. So kann sie einen besseren Lebensstandard und eine gute Zukunft für ihre Kinder erwarten.

Sie freut sich, dass ihre Kinder hier in Deutschland in einer liberalen Gesellschaft aufwachsen können, weit weg von der Angst, die durch den Krieg verursacht wurde. In Syrien hatte sie immer große Angst, dass es Raketenangriffe auf die Schule der Kinder geben könnte.

Die Syrerin Suzanna Alkotaish über Patenschaften.

Kolumnistin Suzanna Alkotaish: Patenschaften oder syrisch-deutsche Grenzerfahrungen

 

Mohamad, 30 Jahre alt, Zahnarzt

Ein Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland bekam Mohamad eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis. Er hatte lange Zeit auf seinen schriftlichen Bescheid und seine Ausweiskarte gewartet.

Er hat den C1 Kurs und den Integrationskurs erfolgreich beendet und bereitet sich jetzt auf seine Approbationsprüfung vor. Er hat schon mehre Praktika in Praxen von Zahnärzt*innen gemacht und auch in einem Zahntechniklabor gearbeitet.

„Es wäre für mich eine Katastrophe, wenn ich mich fünf Jahre in meinem Beruf weiterbilde, damit ich in Deutschland arbeiten kann, und danach nach Syrien zurückkehren muss.“

Mohamad, 30


„Für syrische Ärzt*innen braucht es viel Zeit, damit sie sich in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren können. Das liegt zum einen an der schwierigen Gesetzeslage und zum anderen an der komplizierten Bürokratie. Immer wenn ich fühle, dass ich mich der Arbeit annähere, zeigt die Realität das Gegenteil. Vielleicht liegt es daran, dass viele syrische Ärzt*innen plötzlich innerhalb einer kurzen Zeit nach Deutschland kamen, und erst ein Umgang damit gefunden werden muss“.

Mohamad sagt, dass er große Angst hat, weil die Zukunft aller Flüchtlinge insgesamt in Deutschland unsicher sei: „Es wäre für mich wirklich eine Katastrophe, wenn ich mich fünf Jahre in meinem Beruf weiterbilde, damit ich in Deutschland arbeiten kann, und danach nach Syrien zurückkehren muss.“

Firas Alshater zu Besuch in der Bertelsmann Stiftung.

Fünf Jahre in Deutschland: Was Firas Alshater über seine neuen Landsleute gelernt hat

 

Fadi und Sami, 24 Jahre alt, Studenten

Den Zwillingsbrüdern Fadi und Sami wurde neun Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland Asyl gewährt. Sie haben schon das B2-Sprachniveau erreicht und den Orientierungskurs abgeschlossen. Fadi macht eine Ausbildung zum Bäcker und Sami arbeitet in einem Restaurant als Kellner.

„Deutschland ist bestimmt ein tolles Land, ich respektiere die Gesetze, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich für immer so weit weg von meiner Familie leben werde.“

Sami, 24


Sami betrachtet sich als Gast in Deutschland und wenn der Krieg in Syrien vorbei ist, würde er gerne zurückkehren: „Ich habe echt Heimweh und vermisse meine Eltern sehr. Deutschland ist bestimmt ein tolles Land, ich respektiere die Gesetze, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich für immer so weit weg von meiner Familie leben werde.“ Leider war Sami mehrmals Diskriminierungen ausgesetzt, weswegen er sich auch nicht besonders wohl im Land fühlt.

Fadi hat eine andere Meinung als sein Bruder, und er sagt: „Ich bin sehr glücklich, dass ich die Möglichkeit habe, eine Ausbildung in Deutschland zu machen und eine Karriere zu starten“. Er findet, dass Deutschland ein sehr schönes und geordnetes Land ist und die Gesetze hier wirklich für jeden gelten.   

Über das Leben in Deutschland sagt Fadi: „Ich hatte Schwierigkeiten als ich ankam, denn es gibt viele Unterschiede zwischen den Bräuchen und der Kultur hier und in Syrien. Aber ich habe mich daran gewöhnt, und ich bin froh hier zu sein“.

Syrer in Deutschland

Bis zum letzten Quartal 2015 verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen sehr hohen Anteil an Asylanträgen. Im Oktober waren es mehr als 54.000 Anträge. Dabei stellten Syrer*innen die größte Gruppe unter den Schutzsuchenden in Deutschland dar. Aufgrund der zahlreichen Einberufungsbefehle ins syrische Militär und der gefährlichen und anstrengenden Fluchtrouten, sind junge Männer die dominierende Gruppe unter den syrischen Asylbewerber*innen. Die Bildungsabschlüsse syrischer Flüchtlinge sind im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen überdurchschnittlich hoch: 71% der Syrer*innen haben einen Schulabschluss und 32% von ihnen haben das Abitur gemacht.

Eine Gruppe steht im Kreis.


Wenn man alle diese unterschiedlichen Geschichten von Menschen hört, versteht man, dass es nicht einfach ist für die Geflüchteten, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen. Einigen ist es schon gelungen, andere arbeiten daran und wiederum andere möchten wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn es die politische Lage erlaubt.

Aber auch den Deutschen wird einiges abverlangt. Wenn sie den Geflüchteten eine reale Chance bieten wollen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, müssen sie Geduld aufbringen, denn die neuen Kolleg*innen brauchen ihre Zeit, um sich in dem neuen Umfeld zurecht zu finden. Aber mit Verständnis und Unterstützung von deutscher Seite und Engagement von Seiten der Geflüchteten, kann die Integration gelingen und eine Bereicherung für beide Seiten werden.

Diejenigen, die gerne so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen wollen, müssen sich bemühen – insbesondere was die Sprachkenntnisse aber auch die Berufserfahrungen zum Beispiel in Form von Praktika angeht.

Mehr von Suzanna? Hier schrieb sie über den Tag, an dem sie beschloss, ihre Heimat zu verlassen.